Kommentar Merkel-Rede: Gelegenheit für Nettigkeiten
Der Auftritt von Angela Merkel in den USA ist nicht Höhepunkt einer innigen transatlantischen Beziehung, sondern Chance, eine schwierige Situation zu entkrampfen.
Es gibt Jubiläen, die fallen so günstig, dass man sie erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Einen besseren Termin für den 20. Jahrestag des Mauerfalls hätte die Kanzlerin sich nicht wünschen können.
Und selbst dem US-Präsidenten - dem ein gutes deutsch-amerikanisches Verhältnis nicht ganz so wichtig ist wie dem Gast aus Berlin - dürfte es gelegen kommen, dass die deutsche Regierungschefin ausgerechnet jetzt mit der Einladung zu einer Rede vor beiden Häusern des Kongresses geehrt wurde. Denn der Auftritt von Angela Merkel ist nicht der vorläufige Höhepunkt einer innigen transatlantischen Beziehung, sondern die Chance, eine schwierige Situation zu entkrampfen. Also die Gelegenheit zu einem Neuanfang.
Ein neuer Anfang, der vertrauten Mustern folgt. Der Weg zur Wiedervereinigung fügt sich ein in jenen Teil der Geschichte, in dem Deutsche gute Gründe hatten, den USA dankbar zu sein.
Von der Luftbrücke bis zur Unterstützung des Wunsches nach der deutschen Einheit, auch gegen den Willen verbündeter westlicher Staaten, lässt sich eine Linie ziehen. Diese Ereignisse werden in der Bundesrepublik auch von der Mehrheit derjenigen positiv gewürdigt, die andere Entscheidungen der Politik der Vereinigten Staaten - wie beispielsweise seinerzeit die Nachrüstungsbeschlüsse - kritisch sehen.
Die Rednerin hat also deshalb im Kongress die Gunst der Stunde genutzt, die erfreulichen Seiten des Bündnisses ins Gedächtnis zu rufen. Wichtig ist das aus zwei verschiedenen Gründen: weil es derzeit auf mehreren Gebieten ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen den Regierungen in Washington und Berlin gibt.
Im Weißen Haus haben Barack Obama und Angela Merkel unter anderem über Klimaschutz, über den Krieg in Afghanistan und über die Weltwirtschaft gesprochen - samt und sonders Themen, bei denen es nicht um trauliche Reminiszenzen, sondern um handfeste Interessengegensätze geht.
Hinzu kommt, dass die Chemie zwischen Kanzlerin und US-Präsident bisher nicht besonders gut war. Ob man sich mag, spielt aber auch in der Politik eine Rolle. In den nächsten Jahren müssen die beiden miteinander auskommen, ob sie wollen oder nicht. Da trifft es sich gut, dass es nun eine so gute Gelegenheit gab, einfach nett zueinander zu sein.
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