Kommentar Macrons Wahlprogramm: Emmanuel der Kühne
Das Wahlprogramm des Präsidentschaftskandidaten Macron überrascht nur in einem Punkt: Er will ein neues französisches Sozialversicherungssystem.
N ichts Umwerfendes steht im Programm von Emmanuel Macron, der beste Aussichten hat, Frankreichs neuer Präsident zu werden: Ein wenig sozialer Ausgleich und Förderung der bisher auf dem Arbeitsmarkt Diskriminierten, die Aussicht auf mehr Kaufkraft für die Berufstätigen, eine weitere Liberalisierung der Wirtschaft mit Reformen, wie sie in den Nachbarländern längst beschlossen und umgesetzt wurden.
Für die Skeptiker – und die sind so zahlreich wie seine Fans – gibt es in dieser wahlpolitischen Gemischtwarenhandlung Produkte von links und rechts, Sozialwirtschaftliches und Neoliberales. Jeder kann Erfreuliches und Störendes finden.
In einem Punkt aber überrascht Macron durch seine Kühnheit: Er will das französische Sozialversicherungssystem von Grund auf neu organisieren. Das ist allein schon deshalb mutig, weil sich die letzten Staatschefs und ihre Regierungen schon bei bescheidenen Teilrevisionen regelmäßig die Zähne ausgebissen haben. Denn wer an dieser wichtigsten sozialen Errungenschaft aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch nur Retuschen anbringen will -und sei es aus besten Absichten- , wird sogleich des Kapitalverbrechens gegen das Sozialmodell bezichtigt.
Macron hat Vorschläge gemacht, wie man dieses schwerfällig, ineffizient und ungerecht gewordene Monster der „Sécu“ (Altersrente, Invaliditäts-, Kranken- und Berufsunfallversicherung plus Familienzulagen) mit seinen unzähligen separaten Kassen und unterschiedlichen Konditionen für private und öffentliche Arbeitnehmer vereinfachen könnte, es flexibler und für jeden Versicherten durchschaubarer gestalten könnte.
Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Reform ist, dass sie als Gesamtpaket und nicht häppchenweise angepackt wird, damit Jeder und Jede eine transparente Netto-Bilanz ziehen und die Vor- und Nachteile unter dem Strich abwägen kann. Dass Zögerlichkeit sich nicht auszahlt, scheint Macron aus seiner Zeit als Minister von François Hollande gelernt zu haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga