piwik no script img

Kommentar Kurzarbeit-BoomHeimwerken für alle

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Politik setzt mit ihrem Kurzarbeit-Kurs auf den nächsten Aufschwung. Dabei hätte auch die Idee einer kollektiven Arbeitszeitverkürzung Aufmerksamkeit verdient.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Sozialredakteurin der taz.

1,4 Millionen in Kurzarbeit! Wer dieser Tage die neuen Zahlen zur Kurzarbeit liest, der kramt vielleicht doch noch mal die verstaubten Archivordner heraus. Von damals, als man die Verkürzung der Arbeitszeit als Heilmittel betrachtete, um Beschäftigung zu sichern und neu zu verteilen.

Zur Erinnerung: Im Oktober 1993 informierte der Vorstand der VW AG die Öffentlichkeit darüber, dass aufgrund von akuten Absatzproblemen der Konzern vorübergehend die Arbeitszeit auf 80 Prozent reduzieren und die Viertagewoche einführen müsse. Die Beschäftigten verzichteten zum Ausgleich auf Lohnbestandteile. Deutschland feierte die Viertagewoche als neues Arbeit-Freizeit-Modell. JournalistInnen erkundigten sich interessiert, was die Leute in der freien Zeit nun wohl so täten, ob sie mehr heimwerkelten oder mehr Zeit mit ihren Familien verbrächten.

Der Tenor zur heutigen Kurzarbeit ist anders. Die einen betrachten sie als Übergangsphase, bis die Industrie aus welchen Gründen auch immer wieder auf die Füße kommt. Die andern sehen die Kurzarbeit als Galgenfrist, bis dann doch Massenentlassungen anstehen. Doch vielleicht ist diese Polarisierung falsch.

Früher, in den 90er-Jahren, ging es nicht um Auf- oder Abschwung, sondern um die dauerhafte Anpassung eines begrenzten Arbeits- und Auftragsvolumens an eine große Zahl von Jobsuchenden. Die Verfechter von Verkürzungen erwarteten, dass dieses Volumen eher schrumpft und man deshalb um Verteilungsfragen, um eine Art bewusster Beschränkung, nicht herumkommt. Heute diskutiert niemand mehr darüber, wie man eine solche Verteilung in den Firmen fördern könnte, ob das überhaupt organisierbar wäre. Stattdessen wettet die Politik auf den Aufschwung, als hätte man nicht schon genug schlechte Erfahrungen mit Wetten gemacht. Dabei hätte die Idee der kollektiven Arbeitszeitverkürzung durchaus Aufmerksamkeit verdient.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

1 Kommentar

 / 
  • MM
    Max Maier

    Arbeitszeiterkürzung ist etwas Böses weil da der Arbeitgeber mit dem Lohn entgegenkommen muss. Kurzarbeit zahlt der Steuerzahler.

     

    Ansonsten sägen die Herrschaften mit der Politk den Baum ab auf dem sie sitzen. Was passiert wenn man die Löhne gegen Null drückt? Genau. Keiner kauft mehr etwas.

     

    Jetzt ist noch zu erwähnen dass 50% der deutschen schon am Existenzminimum leben. 10 Mio Alg1/Alg2, 20 Mio mit Niedrigstlöhnen, 10 Mio Rentner (Durchschnitt bei Frauen 468 €/Monat).