Kommentar Kundus-Affäre: Der heimliche Kriegsbeginn

Der Skandal sind nicht die Tötungen, sondern die gezielte Täuschung der Öffentlichkeit durch Bundeswehr und Regierung.

Minister Guttenberg bekam Beifall, als er erklärte, dass in Afghanistan "kriegsähnliche Zustände" herrschen. Aber kommt heraus, dass die Bundeswehr in Kundus "gezielt" Taliban tötet, dann sind viele entsetzt und sagen, das sei vom Isaf-Mandat des Bundestags nicht gedeckt. Sie wollen das Mandat für harmloser halten, als es ist. Der "Einsatz militärischer Gewalt" ist dort zur "Aufrechterhaltung der Sicherheit" durchaus erlaubt. Eine Beschränkung auf Selbstverteidigung hat der Bundestag nicht beschlossen. Die deutschen Soldaten sind aktiver Teil dieses Kriegs.

Der Skandal ist also nicht, dass die Bundeswehr im afghanischen Kriegsgeschehen gezielt Kämpfer der Gegenseite tötet, sondern dass sie die Öffentlichkeit darüber gezielt hinters Licht geführt hat. Tatsächlich hat sich die Bundeswehr lange Zeit freiwillig auf Selbstverteidigung beschränkt. Diese nationale Einschränkung der Isaf-Einsatzregeln wurde im April aufgegeben - ohne dass dies der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde. Spätestens seit April befand sich die Bundeswehr in Afghanistan also - nach eigener Einschätzung - mitten im Krieg, aber noch monatelang gab dies niemand zu.

Im Juli, drei Monate später, wurde dann die sogenannte Taschenkarte der Bundeswehr angepasst. Seitdem sind den Soldaten präventive Angriffe auf Taliban ausdrücklich erlaubt. Umso frecher, dass das Verteidigungsministerium damals auf kritische Nachfragen erklärte, "de jure", also rechtlich, werde sich dadurch nichts ändern. Gelogen war das vielleicht nicht, denn die eigentliche Änderung hatte ja schon im April stattgefunden - nur wusste davon niemand.

Das militärische Engagement in Afghanistan ist wohl auch deshalb so unpopulär, weil die Bundesregierung ständig täuscht und trickst. Wenn Minister Guttenberg jetzt klare, dem Einsatz angemessene Regeln für die Soldaten fordert, ist das ein echter Treppenwitz. Die Bundeswehr hat diese Regeln seit Monaten, verheimlicht sie aber und wundert sich dann über das Unverständnis der Öffentlichkeit.

Auch die Regierung versucht ständig, die Öffentlichkeit, also uns, für dumm zu verkaufen, ob bei der unwilligen Aufklärung des Bombardements bei Kundus oder den Umständen der Entlassung von Generalinspekteur Schneiderhan und Staatsekretär Wichert. Einer solchen Regierung kann man keine Soldaten anvertrauen.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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