Kommentar Kundenscoring: Schäubles Feigenblatt
Banken sollen die Bonität ihrer Kunden ruhig prüfen dürfen. Doch inzwischen entscheiden nicht mehr die Eigenschaften des Kunden, sondern sein statistisches Profil.
VEIT MEDICK ist Inlandsredakteur der taz.
Dass Banken die Zahlungsfähigkeit ihrer Kunden vor einer Kreditvergabe prüfen, ist nachvollziehbar. Irgendwann wollen sie ihr Geld schließlich zurück. Wohin es führt, wenn Kreditinstitute ihren Kunden zu freigebig Geld verleihen, demonstriert derzeit die Hypothekenkrise in den USA.
Inzwischen ist die Prüfpraxis von Banken, Versandhäusern und Telefonanbietern jedoch komplett aus dem Ruder gelaufen. Schuld daran ist das sogenannte Scoring, mit dem Kunden anhand von positiven oder negativen Merkmalen eingeordnet und benotet werden. Ganze Bevölkerungsgruppen werden so diskriminiert. Es kann nicht sein, dass jemand in der Endlosschleife einer Telefonberatung hängen bleibt, nur weil er mit einer Nummer aus einem sozial schwachen Stadtteil anruft - und als Kunde von vornherein ausscheidet.
Deshalb ist es gut, dass Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) jetzt für mehr Transparenz und strengere Regeln beim Kredit-Scoring sorgt. Es war überfällig, dass Verbraucher ein Recht darauf bekommen, zu erfahren, warum ihnen zum Beispiel ein Telefonanschluss verweigert wurde oder sie nicht in Raten zahlen dürfen. Und endlich haben sie die Möglichkeit, dagegen vorzugehen, wenn Auskunfteien falsche Informationen von ihnen gespeichert haben.
Leider ist die Initiative des Innenministers aber nicht Teil eines größeren Projekts, den Datenschutz in Deutschland zu stärken. Ob Vorratsdatenspeicherung, Onlinedurchsuchung oder Bundesmelderegister - im Namen der inneren Sicherheit führt er seit geraumer Zeit einen regelrechten Kreuzzug gegen Privatsphäre und Vertraulichkeit der Bürger.
Der Scoring-Vorstoß zeigt es noch mal in aller Deutlichkeit: Nur in der Privatwirtschaft kann sich Schäuble für Transparenz, Daten- und Verbraucherschutz begeistern. Auf einem Feld also, in dem er lediglich als Mediator auftritt und das seinen staatlichen Kontrollfantasien nicht in die Quere kommt. So kann er den an sich guten Ansatz als Feigenblatt missbrauchen, um seine katastrophale Bürgerrechtsbilanz zu verschleiern.
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