Kommentar Kruzifix-Streit: Das Kreuz mit der Heiligkeit
Die auftrumpfende Kruzifix-Huberei mag unsympathisch und desintegrativ sein, doch dies ist eine politische Frage, keine Frage der Grundrechte.
K ruzifixe in der Schule zeigen, wer der "Herr im Haus" ist. Und gemeint ist damit nicht der Herr Jesu, sondern dass die eingeborene christliche Bevölkerung in einer immer pluralistischeren Gesellschaft die "Leitkultur" verkörpert.
Zugleich ist das Kruzifix aber auch ein religiöses Symbol. Und wenn der Staat muslimische, jüdische und ungläubige Schüler zwingt, in Schulräumen mit einem Kreuz zu lernen, dann ist natürlich ihre Religionsfreiheit und auch das Erziehungsrecht der Eltern betroffen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der jetzt über die Kruzifixe in italienischen Schulen entscheiden muss, sollte beide Fragen sauber trennen. Die klagende Mutter beruft sich zu Recht auf ihre Grundrechte und die ihrer Kinder. Hier ist zumindest ein Mechanismus zu schaffen, wie er in Bayern seit zehn Jahren praktiziert wird. Wenn Eltern verlangen, das Kreuz abzuhängen, muss es abgehängt werden. Das ist lästig, aber die Beeinträchtigung durch ein Kruzifix im Klassenzimmer ist auch nicht allzu hoch. In unserer weltlich geprägten Gesellschaft ist es kaum mehr als Folklore.
Dagegen hat der Straßburger Gerichtshof kein Mandat, die italienische Identitätspolitik zu beurteilen. Die auftrumpfende Kruzifix-Huberei mag unsympathisch und desintegrativ sein, doch dies ist eine politische Frage, keine Frage der Grundrechte. Ob ein Staat sich in seiner Symbolik religiös neutral oder christlich fundiert präsentiert, müssen nicht europäische Richter entscheiden.
Italien muss sich allerdings vorhalten lassen, dass seine Identitätspolitik scheinheilig ist. Wer sich in der Verfassung zur Trennung von Kirche und Staat bekennt, kann nicht gleichzeitig dazu auffordern, Kreuze in den staatlichen Schulen aufzuhängen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale