Kommentar Krankenkassenbeiträge: Politik gegen die Solidarität
Philipp Rösler ist seinem Ziel näher gekommen, das solidarische Gesundheitssystem weiter zu ruinieren.
D ie gesetzlichen Kassen stecken mittendrin im größten Image-Desaster der vergangenen Jahre. Am Montag verkündeten mehrere Branchengrößen, dass sie ab Februar 8 Euro pro Monat zusätzlich von ihren Mitgliedern einziehen müssen, um ihre Kosten zu decken. Daran tragen die Unternehmen nur geringe Schuld. Die wahren Verantwortlichen für die Teuerungen sind die alte und die neue Koalition. Und geht es nach dem FDP-Gesundheitsminister, wird die Lage für gesetzlich Versicherte schon bald noch ärger werden.
Die Kassen büßen für zwei verfehlte Gesundheitsreformen: die alte von Ulla Schmidt und die neue ihres Amtsnachfolgers Philipp Rösler. Die SPD-Ministerin wollte die Kassen zum Sparen anhalten - zu Recht. Nur knickte sie vor der Ärztelobby ein und stimmte hohen Honorarzuwächsen zu. Für diese müssen die Kassen aufkommen - also deren Mitglieder.
Rösler seinerseits nutzt nun den Mechanismus, um ein anderes Ziel zu erreichen: Der FDP-Mann will die Beiträge zur Krankenversicherung vom Gehalt entkoppeln. Das wäre das Ende einer großen und weisen Institution: des solidarisch finanzierten Gesundheitssystems. Dass viele Kassen jetzt Zusatzbeiträge erheben, bringt ihn seinem Ziel näher: Die Zahlungen lassen sich ausbauen zu Pauschalen, die unabhängig sind vom Gehalt. So ginge der schwarz-gelbe Traum einer Kopfpauschale doch noch in Erfüllung. Und je hilfloser die Kassen wirken, desto mehr entsteht der Eindruck, eine Kopfpauschale sei der einzige Weg, Kostensteigerungen einzudämmen.
Das ist sie aber nicht. Die Idee, Kassenbeiträge relativ zum Einkommen zu bemessen, ist gerecht und vergleichsweise unbürokratisch umsetzbar. Die Regierung müsste der mächtigen Pharmalobby trotzen und gegen die Interessen ihrer Ärzte- und Apotheker-Klientel handeln. Rösler will dies nicht. Der selbst erklärte Bewahrer eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems ist seinem Ziel näher gekommen, es zu ruinieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen