Kommentar Kosovo: Das schwarze Loch in der EU
Mit der Unabhängigkeit des Kosovo hat die EU in Kauf genommen, dass Serbien, statt sich in die EU zu integrieren, sich stärker an Russland bindet.
Die USA haben die Unabhängigkeit des Kosovo als Erste unilateral anerkannt. In Brüssel geht man davon aus, dass mindestens 21 EU-Staaten folgen werden. Genauso wird erwartet, dass Belgrad zwar scharf protestieren, doch sich letztlich mit der Loslösung seiner südlichen Provinz abfinden und seine europäische Zukunft nicht aufs Spiel setzten wird. Um den Groll der Serben nach der Unabhängigkeit des Kosovo zu dämpfen, hat die EU Serbien einen verkürzten Weg zur vollen Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Offenbar aber haben die EU-Strategen die fast mythologische Bedeutung des Kosovo für die Serben falsch eingeschätzt. Ebenso wie sie die Entschlossenheit Russlands, aus ganz eigenen Interessen Serbien in der Kosovofrage beizustehen, unterschätzt haben.
Dabei hat Serbien, den Einsatz der Streitkräfte ausgenommen, alle diplomatischen und rechtlichen Maßnahmen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo angekündigt. Als Mitgliedsstaat kann es die Aufnahme des Kosovo in die OSZE und den Europarat, mit Unterstützung der Vetomacht Russland in die UNO verhindern. Aktionspläne der serbischen Regierung sehen zudem Schritte von einem Wirtschaftsembargo gegen das Kosovo bis zum Abbruch diplomatischer Beziehungen mit jenen Staaten vor, die es anerkennen. Belgrad wird versuchen, die im Norden der Provinz lebenden Serben in die serbische Verfassungsordnung zu integrieren, was de facto die Teilung des Kosovo bedeutete.
Die meisten Staaten der EU haben sich entschlossen, einem souveränen Staat entgegen der UNO-Charta und der Helsinki-Abschlussakte einen Teil seines Territoriums mit Gewalt wegzunehmen. Es ist verständlich, dass Serbien unter solchen Umständen Bedenken hat, der EU beizutreten. Mit der Unabhängigkeit des Kosovo hat die EU in Kauf genommen, dass Serbien möglicherweise ein schwarzes Loch im Territorium der EU wird. Und statt sich in die EU zu integrieren sich stärker an Russland bindet.
Bulgarien, Rumänien und Griechenland werden das Kosovo vorerst auch nicht anerkennen. Im völkerrechtlichen Chaos ist das Wiederbeleben anderer sezessionistischer Bewegungen auf dem Balkan vorprogrammiert. ANDREJ IVANJI
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