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Kommentar KosovoDas schwarze Loch in der EU

Kommentar von Andrej Ivanji

Mit der Unabhängigkeit des Kosovo hat die EU in Kauf genommen, dass Serbien, statt sich in die EU zu integrieren, sich stärker an Russland bindet.

Die USA haben die Unabhängigkeit des Kosovo als Erste unilateral anerkannt. In Brüssel geht man davon aus, dass mindestens 21 EU-Staaten folgen werden. Genauso wird erwartet, dass Belgrad zwar scharf protestieren, doch sich letztlich mit der Loslösung seiner südlichen Provinz abfinden und seine europäische Zukunft nicht aufs Spiel setzten wird. Um den Groll der Serben nach der Unabhängigkeit des Kosovo zu dämpfen, hat die EU Serbien einen verkürzten Weg zur vollen Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Offenbar aber haben die EU-Strategen die fast mythologische Bedeutung des Kosovo für die Serben falsch eingeschätzt. Ebenso wie sie die Entschlossenheit Russlands, aus ganz eigenen Interessen Serbien in der Kosovofrage beizustehen, unterschätzt haben.

Dabei hat Serbien, den Einsatz der Streitkräfte ausgenommen, alle diplomatischen und rechtlichen Maßnahmen gegen die Unabhängigkeit des Kosovo angekündigt. Als Mitgliedsstaat kann es die Aufnahme des Kosovo in die OSZE und den Europarat, mit Unterstützung der Vetomacht Russland in die UNO verhindern. Aktionspläne der serbischen Regierung sehen zudem Schritte von einem Wirtschaftsembargo gegen das Kosovo bis zum Abbruch diplomatischer Beziehungen mit jenen Staaten vor, die es anerkennen. Belgrad wird versuchen, die im Norden der Provinz lebenden Serben in die serbische Verfassungsordnung zu integrieren, was de facto die Teilung des Kosovo bedeutete.

Die meisten Staaten der EU haben sich entschlossen, einem souveränen Staat entgegen der UNO-Charta und der Helsinki-Abschlussakte einen Teil seines Territoriums mit Gewalt wegzunehmen. Es ist verständlich, dass Serbien unter solchen Umständen Bedenken hat, der EU beizutreten. Mit der Unabhängigkeit des Kosovo hat die EU in Kauf genommen, dass Serbien möglicherweise ein schwarzes Loch im Territorium der EU wird. Und statt sich in die EU zu integrieren sich stärker an Russland bindet.

Bulgarien, Rumänien und Griechenland werden das Kosovo vorerst auch nicht anerkennen. Im völkerrechtlichen Chaos ist das Wiederbeleben anderer sezessionistischer Bewegungen auf dem Balkan vorprogrammiert. ANDREJ IVANJI

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Auslandskorrespondent Belgrad
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5 Kommentare

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  • W
    wurbenheimer

    Ich fürchte, wir werden diesen Schritt bereuen. Mit welcher Rechtfertigung will die EU sich denn jetzt noch in Zukunft auf Völkerrecht und UN berufen?

    Was ist denn dadurch gewonnen, daß wir dem "Menschenverachtenden Serbischen Nationalismus" zu Gunsten des Albanischen einen Tritt versetzen?

    Das Albaner nicht mehr mit Serben können ist klar und verständlich. Aber diese Unabhängigkeit war ein Fehler. Sie ändert rein gar nichts an dem Status Quo im Kosovo und ist lediglich eine symbolische Befriedigung des Albanischen Nationalismus auf Kosten von Sicherheit, Stabilität und Völkerrecht.

    Darüber hinaus zeigt es mal wieder erschreckend wie einseitig Ethik und Moral herangezogen werden, wenn es um westliche Interessen geht und wie irrelevant Ethik und Moral sind, wenn es westlichen Interessen zuwiderläuft.

  • RL
    robert lange

    auch ich fand den kommentar verständlich und aufschlussreich. dafür danke ich.

  • SV
    Stumm von Bordwehr

    Der Kommentar von Ivanji ist wunderbar nüchtern und klar, eine wohltuende Erholung von all den "Berichten" und Jubelreportagen, die sich eher wie UCK-Presseerklärungen lesen. Dass sich aber nun auch taz-Leser mit den geostrategischen Machenschaften der USA und ihrer europäischen Gehilfen so einig wissen, finde ich doch zumindest erstaunlich. Das wird es wohl sein, was die serbische Reformbewegung an den deutschen 'Linken' (od. vielmehr 'Linksliberalen') irritiert: dass sie mit humanistischen Phrasen und pädagogischer Attitüde auch noch einen glatten Völkerrechtsbruch gutheißen ? dass sie erst einen völkerrechtswidrigen Krieg 'moralisch' in Ordnung finden und heute noch den Pentagonplanern und 'EU-Strategen' applaudieren. Wahrscheinlich ist vom Kosovo-Krieg nur mehr Scharpings herzanrührende, aber leider auf fingierten Dokumenten beruhende Pressekonferenz zum Kriegseintritt in Erinnerung, und von etlichen anderen Details wie etwa der Pipeline, die die USA (bzw. Cheneys Halliburton-Konzern) unbedingt durchs Kosovo legen wollen, scheint noch nie was durchgedrungen...

  • MW
    Michael Winkelmann

    Der Text von Herrn Ivanji ist eher eine (längst bekannte) Nachricht denn ein Kommentar. Statt auf Rechtsfragen zu pochen und die jeweilige parteiliche Auslegung zur alleinigen Wahrhheit zu erheben, sollten moralische Kategorien nicht ausgeblendet werden. Die Haltung Serbiens erinnert mich an Eltern, die nach langjähriger Misshandlung ihres Kindes auf ihr alleiniges Sorgerecht bestehen und sich wundern, wenn das Jugendamt eben dieses in Frage stellt.

  • MM
    Michael Moller

    Die EU-Strategen haben alles richtig eingeschätzt. Insbesondere die weitere, irrationale Beachtung serbischer und russischer Phantomschmerzen (ein sehr treffender Ausdruck aus der NZZ) wurde, nicht zuletzt auch angesichts der versuchten Vertreibung der Kosovo-Albaner durch das Milosevic-Regime Ende der 90iger Jahre, zurecht endlich aufgegeben. Die Anerkennung ist längst überfällig. Treffend analysiert haben die USA und die Mehrheit Westeuropas auch die Optionslosigkeit der serbischen Position. Die enge Anbindung des "schwarzen Loches" an Russland stellt keinerlei Drohung für den Westen oder das Kosovo dar, sie wäre vielmehr blanker Masochismus der in diesem Loch lebenden Bevölkerung. Der Weg Serbiens Richtung Westeuropa ist alternativlos.