Kommentar Konflikt im Kaukasus: Und der Verlierer heißt - Russland
Der Kaukasuskrieg hat Russland nichts genutzt. Durch den Verlust von Südossetien wird Georgien langfristig stabiler - und Abchasien könnte ganz unabhängig werden.
E s gibt einen Aphorismus in Abchasien, der viel über die Zukunft dieser Provinz am Schwarzen Meer aussagt, die sich von Georgien loslösen will. "Die Russen", sagen die Leute, "werden die letzten sein, die unsere Unabhängigkeit anerkennen. Lange vorher werden es Europa und Georgien tun." Wie das? Geht es in dem jüngsten Krieg in Georgien nicht gerade darum, dass Russland die beiden abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien gegen Georgien unterstützt?
Was immer in den letzten Tagen an Thesen und Ansichten verbreitet wurde - das meiste ist Propaganda und hat mit der komplizierten Situation vor Ort wenig zu tun. So hat der russische Präsident Medwedjew die beiden politischen Führer der Südosseten und Abchasen demonstrativ im Kreml empfangen und dabei verkündet, ihnen sei nach diesem Krieg nun definitiv nicht mehr zuzumuten, noch einmal unter georgischer Oberhoheit zu leben. Dennoch wird sich Russland hüten, die beiden Territorien als unabhängige Staaten anzuerkennen.
Jürgen Gottschlich ist langjähriger taz-Korrespondent in Istanbul. Er ist Mitbegründer dieser Zeitung und war in den Neunzigerjahren ihr Chefredakteur. Jüngst schrieb er eine Biografie über Günter Wallraff (KiWi).
Der Grund ist nicht nur, dass Russland schwerlich genügend relevante Länder weltweit finden würde, die diesen Schritt ebenfalls vollziehen und ihm damit politisches Gewicht verleihen würden; eine Unabhängigkeit dieser Provinzen liegt auch gar nicht in russischem Interesse. Stellt man die schlichte Leninsche Frage "Wem nutzt es?", dann muss man nüchtern feststellen: Russland hat jedenfalls nicht von diesem Krieg profitiert. Warum nicht? Weil der vorherige Zustand Russlands Interessen am meisten gedient hat. Für diese Feststellung ist es nicht nötig, die komplizierte Geschichte des Kaukasus bis in die Antike zurückverfolgen, wie es jetzt manche tun. Es reicht, sich die Situation seit der Auflösung der Sowjetunion anzuschauen.
Seit den frühen 90er-Jahren gibt es vier sogenannte ungelöste Territorialkonflikte im Bereich der ehemaligen Sowjetunion. Das sind Abchasien und Südossetien in der früheren Sowjetrepublik Georgien, Bergkarabach in der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan und Transnistrien in Moldawien. Durch diese ungelösten Konflikte können sich die Länder nicht stabilisieren; ihre Entwicklung wird behindert und damit ist ihre Emanzipation von Russland nur eingeschränkt möglich. Machtpolitisch ist Moldawien dabei am wenigsten interessant. Das bettelarme Land zwischen Rumänien und der Ukraine interessiert im Westen nicht besonders; und auch in Moskau ist die Unterstützung für die Stalinisten in Transnistrien wahrscheinlich eher alten Seilschaften als geostrategischen Interessen geschuldet. Ganz anders sieht es bei Georgien, Aserbaidschan und Armenien aus: Diese Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer ist der Weg, der zwischen Russland und Iran hindurch bis nach China führt. Auf dieser Route kommt nicht nur das Öl und Gas aus dem Kaspischen Becken nach Europa - auch das Gas und Öl aus Turkmenistan und Kasachstan sollen diesen Weg nehmen.
Russland hat nach der Auflörung der Sowjetunion zwar nicht verhindern können, dass Georgien, Aserbaidschan und Armenien sich für unabhängig erklärten, aber die drei Territorialkonflikte führten dazu, dass Russland gewichtigen Einfluss behielt. Der Status quo war und ist daher für Russland die beste denkbare Situation. Die Frage ist, ob es Russland gelingen kann, nach dem Krieg diesen Zustand wiederherzustellen beziehungsweise in Karabach weiterhin aufrechtzuerhalten.
Beginnen wir mit Karabach, das zu Aserbaidschan gehört, in dem aber mehrheitlich Armenier leben. Es ist bislang wenig beachtet worden, dass Karabach auch ein Auslöser für den Krieg in Georgien gewesen sein dürfte. Seit Monaten verhandeln Aserbaidschan und Armenien intensiv über eine Lösung in Karabach. Wie in Georgien sind die USA auch in Aserbaidschan zum großen Bruder avanciert, obwohl man angesichts der autokratischen Regierung von Präsident Alijew hier nicht lautstark von Demokratie, Menschenrechte und den gemeinsamen westlichen Werten schwafelt, sondern schlicht die Kontrolle über die reichen Ölvorkommen sichern will. Damit Aserbaidschan verlässlichere Strukturen entwickeln kann, ist es wichtig, den leidigen Karabachkonflikt endlich zu befrieden. Washingtons Sonderbeauftragter für den Kaukasus, Matthew Bryza, drängt Alijew mit Unterstützung des zweiten großen Bruders in Ankara deshalb heftig, ein Referendum in Karabach anzuerkennen und damit praktisch die Zugehörigkeit Karabachs zu Armenien zu akzeptieren.
Diese Entwicklung hat bei Saakaschwili offenbar Torschlusspanik ausgelöst. Würde Aserbaidschan die Abtrennung Karabachs hinnehmen, wäre es nur logisch, dass alle Welt ihn drängen würde, auch bei Abchasien und Südossetien nachzugeben. Es ist reine Show, wenn der Westen nun die Fahne der territorialen Integrität Georgiens schwenkt. Für die USA und Europa ist nicht wichtig, ob Abchasien und Südossetien zu Tiflis gehören - bedeutsam ist, dass Georgien endlich zu einem stabilen Staat wird. Je eher das Land die beiden Konfliktherde loswird, umso eher kann Georgien Nato-Mitglied werden und auch an die EU herangeführt werden. Saakaschwili hat deshalb wahrscheinlich tatsächlich nicht auf US-Ermutigung den Einmarsch in Südossetien befohlen, sondern im Gegenteil war der Einmarsch ein letzter verzweifelter Versuch, USA, Nato und EU für sein im Kern chauvinistisches Rückeroberungsprojekt einzuspannen. Saakaschwili ist ein Hasardeur, der sich für die USA immer mehr zu einem unkalkulierbaren Risiko auswächst.
Auf die Wünsche, Ängste und das Leiden der Bevölkerung in Südossetien und Abchasien ist in dem Machtpoker der letzten Jahre so wenig Rücksicht genommen worden, wie es zukünftig der Fall sein wird. Hätte Saakaschwili den Krieg in Südossetien gewonnen, wäre es dort zu einer ethnischen Säuberung gekommen. Jetzt sind stattdessen die vorher noch in Südossetien lebenden Georgier vertrieben und massakriert worden. Da Südossetien als unabhängiger Staat völlig undenkbar ist, wird eine kommende georgische Regierung irgendwann die De-facto-Vereinigung mit Nordossetien auch formal anerkennen und Russland um ein paar Quadratkilometer größer. Wie gesagt: Für Russland ist dies nicht unbedingt ein taktischer Gewinn - wird doch Georgien durch den Verlust Ossetiens stabiler.
Auch in Abchasien hat Russland viel zu verlieren. Die Provinz hat durchaus das Potenzial zu einem unabhängigen Staat. Anders als die Südosseten wollen die Abchasen jedoch nicht von Russland geschluckt werden. Doch Russland hat nicht zwei blutige Kriege in Tschetschenien geführt, um nun Abchasien in die Unabhängigkeit zu entlassen und damit neue Konflikte im Nordkaukasus zu riskieren. So paradox es sich deshalb anhören mag: Will der Westen verhindern, dass Moskau Abchasien auf unabsehbare Zeit zu seinem Protektorat macht, muss er selbst die Unabhängigkeit Abchasiens fördern und fordern.
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