Kommentar Koalitionsspiele: Die Macht der kleinen Parteien
Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden die Volksparteien künftig nicht mehr mit einer der beiden liberalen Kleinparteien, sondern nur noch mit beiden zusammen eine Regierung bilden können.
Wer hätte gedacht, dass sich Jürgen Trittin und Guido Westerwelle jemals so nahe rücken würden. Kurz nach dem FDP-Chef verkündet jetzt auch der designierte Spitzenkandidat der Grünen, dass seine Partei ohne Koalitionsaussage in den Bundestagswahlkampf 2009 ziehen will. Fast identisch ist auch das Argument: Enttäuschung über den traditionellen Bündnispartner. Westerwelle beklagt die Abkehr der CDU-Kanzlerin von ihrem einstigen Reformprogramm, und Trittin findet, die SPD sei derzeit "nicht gerade eine schicke Partei".
Ralph Bollmann ist Leiter im taz-Inlandsressort.
Es war schon länger klar, dass sich die Kleinen mit Blick auf 2009 anders positionieren müssen. Durch die Hessen-Wahl ist ihnen lediglich klar geworden, dass sie es ihren Wählern jetzt schon sagen müssen. Eine Neuauflage der großen Koalition: Das wäre vielleicht schlecht für das Land und unbequem für die großen Parteien, mit Sicherheit aber wäre es eine Katastrophe für FDP und Grüne. Nicht allein, weil sie erneut auf attraktive Ministerposten verzichten müssten. Die bisher rein theoretische Debatte über ein Mehrheitswahlrecht könnte an Fahrt gewinnen, wenn nur so der demokratische Wechsel wieder möglich würde.
Dabei geht es nicht so sehr darum, ob die FDP mit den Sozialdemokraten kann oder die Grünen mit der Union. Viel entscheidender ist die Frage: Können die Grünen mit der FDP - und umgekehrt? Da gab es bislang die größten Berührungsängste, die aus Distanz und Nähe zugleich resultierten. Distanz, weil Westerwelle mit seinem ökonomischen Radikalliberalismus ganz bewusst aus dem sozialdemokratischen Konsens der Gesamtgesellschaft ausscherte. Nähe, weil Grüne und FDP nicht nur um die Stimmen bürgerlicher Besserverdiener, sondern vor allem auch um die gleiche Rolle als Mehrheitsbeschaffer konkurrierten.
Zumindest mit Letzterem ist es nun vorbei. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit werden die Volksparteien künftig nicht mehr mit einer der beiden liberalen Kleinparteien, sondern nur noch mit beiden zusammen eine Regierung bilden können. Ob sich Grüne und FDP von den Großparteien ausspielen lassen oder selbst die Regeln bestimmen, hängt dann allein von ihnen selbst ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Missbräuchliche Geschlechtsänderung
Reine Provokation
Elon Musk und die Start-up-Szene
Idol oder Igitt?
Die Wehrpflicht in den Wahlprogrammen
Müssen sie dienen?
Datenschützer über neue Patientenakte
„Es ist ein Leichtes, unbefugt auf Daten zuzugreifen“
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar
Grünen-Vorsitzende drohen angeblichem Opfer mit Konsequenzen
Waffenstillstand im Gazastreifen
Verhärtete Fronten