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Kommentar Klar-FreilassungRecht vor Reue

Kommentar von Christian Semler

Das Stuttgarter Oberlandesgericht entschied nicht nur, dass Ex-Terrorist Klar freikommt. Es hat auch das Recht auf freie Meinungsäußerung von Strafgefangenen gestärkt.

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11 Kommentare

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  • N
    Normalo

    "Zwar sind Begnadigung und Aussetzung der Reststrafe zwei unterschiedliche Rechtsinstitute. Aber für beide gilt, dass Zerknirschung und Reue niemals Vorbedingung zu ihrer Anwendung sein dürfen."

     

    Das hätte ich gerne mal erläutert. Für die Aussetzung der Reststrafe gilt diese These sicherlich. Die ist Teil des rechtsstaatlichen Systems, dass Strafe nicht als Rache der Gesellschaft begreift und letztlich eine vollständige Resozialisierung für das optimale Ergebnis eines Strafprozesses hält.

     

    Die Gnade ist etwas völlig anderes. Sie ist die - von allen objektiven Kriterien befreite - Möglichkeit des Staatsoberhauptes, den Rechtsstaat außer Kraft zu setzen und an seinen Instituten vorbei, letztlich willkürlich die weitere Bestrafung für unangebracht zu erklären. Welche Maßstäbe der Bundespräsident dabei ansetzt, ob er eine forsa-Umfrage, die Bildzeitung, Klars Umgangsformen oder auch den Grad seiner Reue berücksichtigt, ist ausschließlich sein Bier. Die inhaltliche Diskussion über seine Entscheidung erledigt sich in dem Moment, in dem er entscheidet. Danach kann man allenfalls noch diskutieren, ob man so Einen zum Präsidenten haben will.

     

    Wonach ein Herr Semler entschieden hätte, ist jedenfalls heute irrelevant - genauso wie die rechtsstaatlichen Überlegungen des Olg Stuttgart. Herr Semler verkennt deshalb den Charakter des Gnadenerweises, wenn er suggeriert, die Entscheidung des Olg Stuttgart sei eine Widerlegung der Gedanken, die zuvor zur Ablehnung des Gnadengesuchs geführt haben.

  • ES
    erwin strittmeier

    was ist in dieser gesellschaft noch nicht gescheitert? Kohle machen ist für viele Menschen in diesem Staate ein Ziel, ein Haus am Meer und so... klar - das ist genau die Haltung, die du kritisierst: "Arbeit macht frei und so" aber was macht man mit so einer Haltung. Sind das alles nur manipulierte Individuen? wenige, denn zugegeben reich werden können nur wenige. oder sind das legitime Ziele, die man in einem Gesellschaftsmodell miteinbeziehen soll. Ich denke schon.

  • ES
    Erwin Strittmeier

    ob du ein dogma konservierst, weiss ich nicht, aber ich lese aus deinen paar zeilen eine kapitalismuskritik raus, die kombiniert wird mit einer kritik am bürgenlichen individuum...

    ich verstehe das wort Schlussstrich als die Möglichkeit zu einem Neuanfang, und verstehe nicht die Frage nach einem Sündenbock. Schuldhafte Verstrickung kennzeichnet in meiner Wahrnehmung das Projekt Raf, schuldhaft waren verstrickt Politik und Terrorismus. Da geht es nicht um einen Sündenbock.

  • H
    hto

    Ich bin auch "verblüfft" - ist der Polizeiapparat nun der eigentliche Sündenbock, und was ist in diesem System denn nun noch nicht gescheitert, bzw. welche Illusion hält sich da noch so hartnäckig?

     

    Und welches Dogma scheine ich denn wohl zu konservieren???

  • ES
    Erwin Strittmeier

    Ich bin verblüfft, auf welcher Basis hto seinen Kommentar zum Thema "Schlussstrich" schreibt. Natürlich kann und soll man eine kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen äussern! Nur das Projekt Raf ist auf ganzer Linie gescheitert. Und so habe ich die Forderung nach dem Schlussstrich von Christian Semmler verstanden: Nur wenn auch der deutsche Polizeiapparat einen Schlussstrich zieht, kann man zu einer Aufklärung der Raf Geschichte kommen, die dann auf die Gesellschaft verändernd wirken könnte...

    auf links Konservative wie hto eine®zu sein scheint so auch auf rechts Konservative

  • H
    hto

    "Recht vor Reue" - ach ja, um welches Recht geht es denn mal wieder - das "Recht des Stärkeren" / des Dümmeren / des Konsumautisten / des anständig-aufständisch Gewissensberuhigten, wo sich die stumpf- und wahnsinnige Masse der "braven" Bürger doch so leichtfertig-kompromissbereit bilden / spalten / konfusionieren läßt, zu Suppenkaspermentalität?!

  • H
    hto

    Zitat Christian Semler: "Gut wäre es, wenn Christian Klar, in Freiheit gesetzt, sich an der Aufarbeitung der Raf-Geschichte beteiligen würde. Dies allerdings ist nur aussichtsreich, wenn die letzte Raf-Gefangene, Birgit Hogefeld, freigelassen ist und die Verfolgungsbehörden der Bundesrepublik auch von sich aus einen Schlussstrich unter dieses Kapitel gezogen haben."

     

    Schlussstrich? - erst wenn die "freiheitliche" Gesellschaft ihre Mitverantwortung anerkennt, weil sie doch auch noch in gepflegt-manipulierter Bewußtseinsschwäche von Angst, Gewalt und egoisierendem "Individualbewußtsein" aus "Arbeit macht frei" vegetiert, für die Hierarchie von und in materialisticher "Absicherung", erst dann ...!?

     

    "Die glücklichen Sklaven sind die erbittertsten Feinde der Freiheit." (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • H
    Hugh

    "Was ist eine Entschuldigung wert, die einem Gefangenen abverlangt wird?"

     

    Gut gebrüllt, Löwe!

  • OJ
    Owe Jessen

    Hier wird einfach behauptet, die Frage nach Reue dürfte kein Maßstab bei der Frage der Begnadigung sein. Ich hätte es interessant gefunden, die Begründung des Autors für diese Behauptung zu lesen - schließlich ist die Begnadigung ja ein Recht, für das der Gesetzgeber dem Bundespräsidenten keine weiteren Auflagen mit an die Hand gegeben hat. Man könnte dann auch noch drüber reden, dass das Begnadigungsrecht ein Überbleibsel der Zeit ist, als das Staatsoberhaupt der Souverän war, aber kein rechtsstaatliches Instrument und damit eigentlich obsolet ist.

  • V
    vic

    Es ist zum fürchten, die Kommentare vieler meiner Mitschreiber auf sz-online zu lesen. Man kann nur hoffen, Christian Klar fällt diesem geifernden Pöbel nicht in die Hände.

    Schön dass Mensch nicht deswegen etwas sagen muss, weils andere so wollen. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und auch Klar hat ein Recht darauf.

  • EL
    Elisabeth Lahusen

    In der Demokratie vertritt das Gesetz keinen mittelalterlichen Bußkatalog und Vergebung ist auch keine Handelsware, die wie ein Ablassbrief verteilt werden kann. Reue, die zum Tauschobjekt für Hafterleichterungen verkommt, ist in jedem Fall absurd und fragwürdig. Christian Klar hat bestimmte Entscheidungen getroffen und die lange Haftzeit war eine Folge seiner Entscheidungen. Niemandem würde eine längere Haftzeit Klars etwas nützen, am Wenigsten den Opfern. Das bestehende Recht kann bestenfalls der Versuch für eine Orientierungshilfe sein und wir täten gut daran, wenn wir uns nicht nur einseitig erinnern. Wer sich heute darüber aufregt, dass ein Herr Klar nach Verbüßung seiner Haftstrafe für den Rest seines Lebens unbehelligt bleibt, obwohl er äußerlich bislang kein Anzeichen von Reue zeigte, der sollte sich einmal z. B. die Geschichte eines Arnold Strippel (Buchenwald/ Natzweiler/ Ravensbrück/Majdanek/ Vught/ Bullenhuser Damm u.a.a.O.)anschauen.

    Vielleicht wären manche Morde in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht geschehen, wenn die Justiz in der Brd auch in jedem anderen Mordfall mit der gleichen Eindeutigkeit geurteilt hätte, wie im Fall von Klar. Wir können die Morde nicht ungeschehen machen, die Einzigen, die ein Recht dazu hätten, die Taten zu vergeben, sind tot. Die Rechtsmittel sind im Fall von Christian Klar ausgeschöpft- das Werfen von Steinen ist im Strafrecht nicht vorgesehen und das ist vielleicht das Einzige, was gut ist an dieser Geschichte. Man sollte seinem eigenen Schicksal dankbar sein, wenn es einen nicht zum Mörder werden ließ und den Mann jetzt in Frieden lassen.