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Kommentar KaiserschnitteSchuld sind nicht die Frauen

Eiken Bruhn
Kommentar von Eiken Bruhn

Das deutsche Geburtshilfesystem erklärt Schwangerschaft und Geburt zu riskanten Unternehmungen. ÄrztInnen greifen deswegen schnell zum Messer.

S eit Jahren steigen die Sectioraten. Auch 2010, das vermeldete am Montag das Statistische Bundesamt, endeten noch mehr Geburten als 2009 im OP. Drastisch formuliert: Jedes dritte Kind wurde mit dem Skalpell aus seiner Mutter geschnitten.

Schockierend ist, dass diese Zahlen keine Konsequenzen nach sich ziehen. Statt darüber nachzudenken, was schiefläuft in deutschen Kreißsälen, wird die Verantwortung den Frauen zugeschoben. Medien – auch die taz – berichten über die Zunahme von Kaiserschnitten, die auf Wunsch der Frau gemacht wurden. Angeblich, weil sie glauben, so das perfekte Baby zu produzieren, Zeit zu sparen – und ihrem Körper unnötiges Weiten an Stellen, an denen „man“ es gern enger hat.

Die einzige Forschungsarbeit, die es zu dem Thema gibt, widerlegt dieses Bild in jedem Punkt. Verwandte Studien legen nahe, dass die Wunschkaiserschnitte nur 2 bis 4 Prozent aller Fälle ausmachen – und damit die Verdoppelung der Rate in 20 Jahren nicht erklären können.

Eiken Bruhn

ist Redakteurin bei taz Nord.

Dafür müsste man eher danach fragen, wie viele ÄrztInnen aus Unsicherheit und Angst vor Klagen schneller zum Messer greifen, als ihnen selbst lieb ist. Auch weil sie wegen der vielen Kaiserschnitte in ihrer Ausbildung gar nicht mehr lernen, einen komplizierteren Geburtsverlauf zu begleiten.

Doch selbst wenn sie sich die eigene Verantwortung eingestehen würden: Das ändert nichts daran, dass das deutsche Geburtshilfesystem Schwangerschaft und Geburt zu riskanten Unternehmungen erklärt, die von außen kontrolliert werden müssen.

Dieses Bild haben auch werdende Eltern verinnerlicht. Sonst würden nicht 98 Prozent von ihnen zur Geburt in die Klinik gehen. Obwohl sie wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Kaiserschnitts ist, sobald ÄrztInnen anwesend sind. Sind nur Hebammen verantwortlich, sinkt die Quote.

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Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; Systemische Beraterin.
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7 Kommentare

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  • A
    anton

    Dank fortschreitender medizinischer Entwicklung steigen die Überlebenschancen auch bei der Geburt, einem der gefährlichsten Momente für Frauen. Gleichzeitig wird die Evolution außer Kraft gesetzt. Folglich werden die Kaiserschnitte auch weiterhin zunehmen, ob darüber lamentiert und diskutiert wird oder nicht.

  • A
    Anonymous

    Ich weiß zwar auch nicht genau worum es geht, aber ich bin mir sicher, dass die Männer daran schuld sind.

  • A
    Anne

    Seit über 40 Jahren ist die Streberate der Mütter bis auf kleine Schwankungen in etwa gleich hoch, die Kaiserschnittrate hat sich in dieser Zeit aber mindestens verdoppelt...

    und

    wie erklärt sich der Unterschied zwischen Sachsen und Saarland - sind die Frauen im Saarland weniger in der Lage eine vaginale Geburt zu schaffen?

    und

    Kaiserschnitt auf Wunsch findet auch bei Frauen statt, die ihre erste Geburt als traumatisch erlebt haben, auch wenn Ärzte und Hebammen sagen würden, war doch eine ganz "normale" Geburt (aus ihrer Sicht vielleicht, doch aus Sicht der Frau eben nicht) Wer will schon behaupten zu wissen, was welche Frau wie traumatisieren kann...

  • NG
    [Name Gelöscht]

    "Medien – auch die taz – berichten über die Zunahme von Kaiserschnitten, die auf Wunsch der Frau gemacht wurden."

     

    Ich habe irgendwie gerade das Gefühl, es mit einer gespaltenen Persönlichkeit zutun zu haben. Frau Bruhn schreibt gestern einen Artikel über Kaiserschnitte auf Wunsch

     

    http://www.taz.de/Jedes-Dritte-Kind-kommt-per-Kaiserschnitt/!89928/

     

    und kritisiert in diesem Kommentar genau das? Finde ich sehr merkwürdig.

     

    Auch ihre Argumente kann ich nicht so wirklich nachvollziehen. Im ersten oben verlinkten Artikel weist sie darauf hin, dass die Gründe für die steigende Rate der Kaiserschnitte nicht bekannt ist, da die Statistiken der Krankenhäuser keine Daten liefern, aus welchen Gründen ein Kaiserschnitt gemacht wurde. Jetzt wird plötzlich behauptet, die Ärzte würden aus Unsicherheit viele Kaiserschnitte sozusagen vorsichtshalber durchführen. Woher diese plötzliche Erkenntnis, wenn doch die Daten der Krankenhäuser gar nichts darüber aussagen? Nur aufgrund der angegebenen "einzigen" Forschungsarbeit, die nicht einmal näher benannt wurde, und die diesen Schluss "nahelegt"? Gestern war es noch eine andere "einzige" Forschungsarbeit, und zwar die von Frau Baumgärtner, die komischerweise genau das Gegenteil aussagt. Welche Forschungsarbeit ist denn nun die angeblich einzige, die es überhaupt zu diesem Thema gibt? Nee, beide Artikel strotzen nur so von Widersprüchen und erscheinen mir daher weder seriös noch glaubwürdig. Die Behauptung, dass die Wahrscheinlichkeit eines Kaiserschnittes automatisch hoch ist, nur weil eine Ärztin oder ein Arzt anwesend ist, halte ich daher grundsätzlich auch erst einmal für eine ziemlich üble Unterstellung den Ärzten gegenüber.

     

    Ich habe noch nicht erlebt, dass das "deutsche Geburtshilfesystem" Schwangerschaften und Geburt per se zu einem riskanten Unternehmen erklärt, dass von außen kontrolliert werden muss. Unabhängig davon, dass eine von einer Hebamme begleitete Geburt ja auch von außen kontrolliert wird. Wer diese Kontrolle nicht wünscht, müsste dann wohl ganz alleine gebären. Und ich glaube auch nicht, dass die vielen Krankenhausgeburten ausschließlich darauf zurückzuführen sind. Es spielt sicherlich auch eine Rolle, dass überhaupt nicht genug Geburtshäuser und Hebammen für alle "geburtshauswilligen" Frauen zur Verfügung stehen, dass die Kosten unter Umständen nicht immer vollständig von den Krankenkassen übernommen werden usw. Mir wird hier schon wieder ein viel zu einseitiges Bild gezeichnet von den "armen" Frauen, die alle vom Gesundheitssystem gehirngewaschen voller Panik in die Krankenhäuser rennen. Immerhin hat nunmal auch noch jeder selbst einen Kopf zum denken und sollte wissen, dass Schwangerschaft und Geburt grundsätzlich etwas natürliches und mithin keine gefährlichen Unternehmungen sind. Und ich denke, dass dies auch ganz viele Frauen wissen und sich nicht irre machen lassen. Wenn alle Frauen - wie behauptet - eine Schwangerschaft für so gefährlich halten würden, würde es wohl bald keine Kinder mehr geben.

  • W
    Waage

    Wie kommen Sie darauf, dass ein Geburt nicht riskant wäre? Schauen sie sich mal alte Grabsteine von vor hundert Jahren an, besonders die Geburts- und Sterbedaten der Frauen, dabei wird einem manchmal ganz anders. Das war früher, heute ist das gottseidank anders.

     

    Eine Geburt IST eine riskante Geschichte und findet daher am Besten im Krankenhaus statt.

    Die Meisten streben auch dort erst mal eine "natürliche" Geburt an.

     

    Ob ein Kaiserschnitt not tut oder nicht entscheidet der Arzt/ die Ärztin in Absprache mit der Mutter.

    Das ein Mann diese Entscheidung mit "profaner" Begründung zu beeinflussen sucht ist doch eher selten.

     

    Der Vater, der aufgeregt den Krankenhauskorridor hoch und runter läuft oder Händchen hält, hofft in diesen Momenten oder Stunden nur darauf, dass das Ganze für Mutter und Kind irgendwie gut abläuft und überlegt sich im Stillen ob er das Gleiche selber aushalten würde.

     

    Ach ja:

    Der Satz mit dem "man" war eindeutig nur ein Schnappreflex - den hätten Sie sich wirklich sparen

    können!

     

    MfG

  • AW
    ...also wirklich

    Durch die Kaiserschnitte lässt sich die OP Zeit besser Planen!

    Sprich Kosten optimieren. Ein Kaiserschnitt geht also schneller und wird auch noch besser bezahlt!

    Vaginale Geburt: 1.272 - 1.790 Euro Kaiserschnitt: 2.371 - 4.992 Euro

    Na, da hört man doch schon das Klingeln in der Kasse! ;o)

  • BH
    Banjo Hansen

    Ein wenig alarmistisch, Fakt ist aber tatsächlich, das die Zahl der Kaiserschnitte zunimmt. Gibt übrigens auch viel mehr Kohle fürs Krankenhaus, aber das nur nebenbei.