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Kommentar IsraelDer Faktor öffentliche Meinung

Der arabische Frühling birgt für Israel eine Menge Untiefen. Jetzt muss sich das Land nicht mehr mit den benachbarten Diktatoren einigen, sondern mit Argumenten überzeugen.

E s sind schwere Zeiten für Israel. Monatelang stand das Land aufgrund der Aufstände in den arabischen Nachbarländern nicht mehr im Zentrum des politischen Sonnensystems Naher Osten. Und jetzt kommt der arabische Frühling auch noch in Form von unbewaffneten Arabern zu den israelischen Botschaften und an die Grenzen marschiert.

Die Motive der arabischen Demonstranten, die Solidarität mit den Palästinensern, sind dieselben. Die Ausgangslage in den einzelnen arabischen Ländern ist es nicht. In Kairo demonstrierte die "freie" Tahrir-Jugend vor der israelischen Botschaft und wurde vom ägyptischen Sicherheitsapparat niedergemacht.

Ägyptens Militärübergangsherrscher fürchten Komplikationen mit Israel.

In Syrien dagegen wurden die Demonstranten absichtlich zum Grenzbereich vorgelassen. Dabei geht es weniger darum, vom innersyrischen Aufstand abzulenken. Das Regime in Damaskus schickt vielmehr eine Botschaft. 40 Jahre lang hat es an der israelischen Grenze für Ruhe gesorgt. Sollte es stürzen, könnte es damit vorbei sein.

Bild: privat

KARIM EL-GAWHARY ist Nahost-Korrespondent der taz und lebt in Kairo.

Das beschreibt genau das Dilemma, in dem Israel in Bezug auf die arabischen Revolutionen steckt. Mit dem ägyptischen Regime hatte es einen Friedensvertrag, mit dem syrischen einen ungeschriebenen Vertrag zur Befriedung der Grenze. Es war relativ einfach für Israel, trotz der Besatzung des Golans, des Westjordanlandes und der Blockade Gazas, mit einer Handvoll arabischer Diktatoren ins Geschäft zu kommen.

Es wird schwieriger, den Status quo gegenüber demokratischen arabischen Ländern zu verteidigen. Denn erstmals tritt ein völlig neuer Faktor in die nahöstliche Politik: die arabische öffentliche Meinung. Sie muss in Zukunft davon überzeugt werden, dass im Nahostkonflikt und in der Palästinenserfrage ernsthaft nach einer Lösung gesucht wird.

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Karim El-Gawhary
Auslandskorrespondent Ägypten
Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)
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7 Kommentare

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  • N
    Niedrahos

    Nun zeigt sich bereits, dass der völlig unnötige Krieg gegen Lybien zum Schaden Israels wird. Man muss von allen Beteiligten im Nahen Osten verlangen, dass das Existenzrecht und die Sicherheit Israels anerkannt wird. Wenn nicht, dann muss jede Natounterstützung etc. eingestellt werden. Warum hört man in der BRD darüber nichts von Politikern und Journalisten? Bündnistreue?

  • C
    Christof

    Eines noch: Ich habe nicht den Eindruck, als sei es für Israel in den vergangenen 40 Jahren besonders einfach gewesen.

  • C
    Christof

    Alles schön und gut, die Frage darf aber doch gestellt werden, inwieweit die arabische Öffentlichkeit bereit ist, sich israelischen Argumenten zu öffnen. Ehrlich gesagt sehe ich da eher schwarz, wenn ich mir den Diskurs etwa in Libanon oder Syrien vor Augen führe. Und so ganz sichere und etablierte Demokratien sind Ägypten und Tunesien ja nun auch noch nicht.

  • M
    Marie

    Top-Artikel! Treffend, deutlich und nicht polemisch (was mir bei meinem Gemüt selten gelingt, zu unterdrücken).

     

    Es ist meine große Hoffnung, dass Ägypten nach wie vor enge Beziehungen zu Israel behält, jedoch Demokratie und deren Umsetzung in Bezug auf Palästina einfordert. Gleichzeitig soll in der arabischen Welt deutlich gemacht werden, dass Israel sein darf und Terrorismus nicht.

    Den Umgang der Türkei mit Israel empfinde ich als - milde ausgedrückt - unangenehm. Nicht lange ist es her, dass beide Armeen miteinander trainiert haben. In den laizistisch geprägten Tagen der Türkei war ein Miteinander also möglich. Je religiöser das Land wird, umso mehr beisst es um sich; kein gutes Omen.

  • S
    @Sabine

    gemeint ist, dass die öffentliche meinung in hinblick auf das ungelöste palästina-problem jetzt stärker ins gewicht fällt, als irgendwelche bilateralen abkommen mit israel. oder hast du gedacht, dass etwa die bevölkerung in ägypten keinen kollektiven standpunkt (graduelle abweichungen inbegriffen) diesbezüglich vetritt???

     

    mit pr hat das ganze jedenfalls nix zu tun.

  • S
    Sabine

    Ich nehme mal an, der letzte Satz ist ironisch, oder? Denn wie soll man die "öffentliche Meinung" von etwas überzeugen, das gar nicht passiert? PR reicht nicht, die Politik muss sich ändern.

  • S
    Stefan

    Eine dumm-dreiste Frechheit!

    Ich übersetzte: Mit den arabischen Despoten konnten die israelischen Besatzer und Unterdrücker kungeln, was sie gerne gemacht haben. Jetzt müssen sie sich einer demokratischen Öffentlichkeit stellen, die nicht so einfach zu korrumpieren ist. So richtig verstanden?