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Kommentar IranSpiritualität tötet

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.

Ja, wir bangen mit. Wir hoffen, dass im Iran die Protestierenden das theokratische Regime beseitigen helfen. Wir können natürlich nur mitfiebern, denn wir wissen nicht einmal, wer für welche neue Politik stehen könnte. Dass es hauptsächlich junge Menschen sind, die die bleiernen Zeiten abstreifen möchten, mag ein gutes Zeichen sein - muss es aber nicht.

Wir können nicht wirklich beurteilen, ob die Rebellierenden für eine Gesellschaft fechten, in der Frauen nicht mehr in einer Art Kopftuchapartheid gezwungen bleiben; in der der religiöse Vorbehalt in der Gerichtsbarkeit abgeschafft wird; in der Homosexuelle nicht hingerichtet werden und in der Israel nicht weiter als Todfeind gilt.

In Israel selbst glaubt man, der Aufruhr im Iran sei ein Streit innerhalb einer Familie, der am Wesen des Staates nichts ändern werde. Das könnte sein. Sicher ist, dass eine gewisse Nüchternheit in der Analyse gerade Linken nicht schlecht zu Gesicht stünde, dass sich jetzt eine abermals quasireligiöse Haltung zum Furor, den wir aus dem Iran übermittelt bekommen, verbietet.

Vor 30 Jahren waren es gerade viele autonome Linke, die sich am Rausch der religiösen Machtübernahme in Teheran delektierten. Ihnen war der Religionsmob als Projektionsfläche eigener Entgrenzungssehnsüchte gerade recht. Und ihr wichtigster Theoretiker war Michel Foucault. Er war der Stichwortgeber einer hemmungslosen Linken, die alle westliche Zivilisation ästhetisch hasste. Sie wollten Tabula rasa - und Foucault spielte ihnen in die Karten. Dessen theoretisches Werk heizte eine Weltanschauung an, in der alle Ordnung schlecht ist, alle Zivilisation, die westliche vor allem, Lug und Trug. Foucault verachtete den Kampf um Liberalität und Bürgerrechte, hielt Minderheitenschutz für albern, weil er lediglich der Herrschaft als solcher diene.

Den Iran und die die weltliche Macht übernehmenden Ajatollas interpretierte Foucault als spirituelles Pflaster, als Verkörperung des Antipolitischen, und das verstand er tatsächlich als Kompliment. Die iranische Revolution war für einen wie Foucault - und Millionen seiner lesenden Kader - eine rauschhafte Quelle der Entgrenzung zivilisatorischer Fortschritte. In der Zerstörung des Säkularen sahen sie das Symbol der ihnen lästigen Folgen bürgerlicher Aufklärung, der Gewaltenteilung, der grundsätzlichen Kühle von staatlichem Handeln überhaupt. Foucault und die Seinen wollten ausdrücklich eine Welt, in der sich Volk auf Hitze und Hysterie reimt, in der alle Differenzierung nicht mehr gilt - die ideologisch delikate Nähe zu völkischem Gedankengut war und ist ganz offenkundig.

Foucault soll sich später von seiner Euphorie über den religiös inspirierten Wahn distanziert haben - in Wahrheit wollte er sich lediglich in der Hinsicht erklären, keineswegs habe er sich seine Finger schmutzig machen wollen. Und doch tat er genau das: ein Theoretiker der Verachtung für bürgerliche Strukturen, die auf Kompromiss und Ausgleich setzen, ein Zettelkastenzufallshistoriker, der überall nur Macht sah und für die eigene Machtgeilheit blind blieb.

Das muss im Hinblick auf eine linksradikale Tradition, die in jeder Rührung der sogenannten Volksmassen bereits ein Fest, eine explodierende Sache sieht, zu denken geben. In dieser Erbschaft liegen auch die Passionen für jedwede Militanz, die nur sich selbst als Zweck hat - und diese Leidenschaften leben noch. In der Liebe zur Eskalation, die um ihrer selbst willen sich feiert, steckt die Tyrannei - der Spiritualität. Einerlei, ob es um islamische oder christliche Dinge geht: Im Iran waren die sogenannten Volksmassen im Namen Allahs unterwegs, und sie konnten es; könnte der katholische Klerus dies auch, wäre er in seiner inquisitorischen Strenge nicht weniger blutig - historisch ist dies leicht belegbar.

Dies in Sachen 1979 im Kopf zu behalten, also auch zu vergessen, dass da mal eine autonome Linke mit ihrem Helden namens Foucault alle westlich-säkulare Freiheit vor religiösen Wächtern und Schlächtern opfern wollte, ist nötig, um den iranischen Aufruhr der Jetztzeit bewerten zu können. Aufstände als solche zählen nichts, sie müssen ihre Ziele schon ausweisen, ehe wir ihnen Solidarität über den Moment hinaus schenken.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, Meinungs- und Inlandsredaktion, Wochenendmagazin taz mag, schließlich Kurator des taz lab und der taz Talks.. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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4 Kommentare

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  • HK
    Hans-Peter Krebs

    Ein m.E. ungerechtfertigtes Foucault-Bashing rechtfertigt noch lange nicht Schweigen und Stillhalten hierzulande zu gegenwärtigen Repressionen im Iran.

    Auch Stillhalten spielt manchmal mit dem Tod!

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Da werden also Protestler gegen die offensichtlich Erschleichung demokratischer Legitimation als mangelnd westlich in die

    "Faschismusecke" gedrängt, und der schon abgelebte Philosoph Foucault angesichts des heimtückschen Mordes an einer Philosophiestudentin als Obertheoretiker

    solch "faschistoiden" Tuns des Widerstands gegen

    eine Betonmacht der Klerikalität, die mit Spiritualität extrem wenig zu tun hat,

    "ein schlechter Namen gegeben".

    Ist ein Prästadium des "Aufhängens".

     

     

    Hier wird das politische Gegenmachtskind schon im Frühstadium der ontologischen Zellbildung

    mit der Ursuppe ausgeschüttet.

     

     

    Nun, die Aktualität Spinozas besteht hier vielleicht in der Anwendung seines Hinweises, wie sehr eine stoische Behandlungsweise von Affekten im Leben für Leser obigen Kommentars hilfreich ist.

     

    Die gefälschte Wahl zwischen Pest und Cholera

    ist keine Demokratie und "wirkliche" Zustimmung.

     

    Klerikale Mobs und "künstliche Massen" Kirche

    und Heer wurden schon von Freud betrachtet.

    Die Unterscheidung zwischen "Masse" und "Klasse"

    ist das eigentliche theoretische Rüstzeug im Poststrukturalismuus zur Behandlung von

    gesammleteren politischen Menschenaktionen.

     

    Die Aushebelung demokratisch/authentischer

    Elemente in der Bildung des nach 1979 revolutionären Iran wurde natürlich stark durch den 8 jährigen, mit wechselnder US Unterstüzung geführten Iran/Irak Krieges "vereinfacht".

  • DH
    Dr. Harald Wenk

    Es war eigentlich weniger die Kenntnis Foucaults, sondern die 80 % Öleinnahmen, die zeitweise in

    dan SAVAK gesteckt wurden und so das Schah Regime

    zu einer geheimdienstregier Diktatur par excellence machte, die für Unterstützung einer veritablen Massenrevoltion 1978/79 sorgte.

    Da das ein wenig als Einführung eines Regierungswechsels vom Souverän Volk gilt, hat es, wie jetzt erst einmal urdemokratische Züge mit eigenen Opfern.

    Ein "irrendes Volk" ist immer ein harter Brocken für Demokraten.

    Foucault war dann wohl zu recht sehr von den Menschen enttäuscht, das die eher nichtmaterlisteische, "spiriturelle", natürlich wegen Armut, Kultur des Islams so wenig "Solidarität" und andere Tugenden eingelernt hatte, um

    ein reaktonäres Regime zu verhindern.

     

    Ich habe seinem Werk keine Hass auf den Westen, sondern einen Blick auf die vielen systematischen "Zurichtigungen" und Brutalitäten richten sehen, die angesichts des ernormen Wissens in den Humanwissenschaften zum Teil grotesk brutal

    sind.

    Die Blindheit der westlichen Humanwissenschaften gegen alle neurlogische Verbesserungen durch Übungen, am besten im Yoga präsent und

    die Ausnutzung der Neurolgie der Gefühle zur

    unkontrollierten Gewissensdressur angesichts des

    Wissens um feine und wirkende Körper/Seeletechniken der Gefühlserziehung und Modulation in anderen Kulturen ist eben Barbarei inmitten von Hochtechnologie.

     

    Allerdings sind diese feinen Techniken wohl selbst in den Ursprungskulturen nur sehr

    wenig flächendeckend oder vollständig in Gebrauch.

    Letzters ist die eigentliche Enttäuschung, hier vom zuständigen Sufismus.

     

    Nichtsdestotrotz gibt es sie funktionierenderweise und sie sind, wie unsere Technik, postmodern zwanglos in den Westen integrierbar.

     

    Das scheuen einige wie der "Teufel das Weihwasser".

    Die Verteidigung chemiebasierter Psychotechniken, Psychiatrie, als Standard in der Medizin ist da unter anderem der "Teufel".

    Das ist dann die hochtechnologische Barbarei im Körper des Westlers.

  • P
    peakoil

    Wenn sie die Situation im Iran verstehen

    moechten, dann sollten sie zurueck in das Jahr 1953 gehen, als Cia und MI5 die demokratische Regierung stuerzten. Der premier Mossadegh war kein entgrenzter Foucaultanhaenger, sonden er wollte fuer sein Volk 50% der Erdoeleinnahmen von British Petrol, die seinerzeit die Foerderanlagen im Iran betrieb.

    Daraufhin gab es Seeblockade durch England und bald darauf den Sturz der Regierung. Nach dem metaphyisischen Unsinn ueber Foucault, der angeblich fuer die Linke steht, die teokratische Mullahs feiert, kann ich sie nur zu ihrer historischen Kurzatmigkeit beglueckwuenschen:

    Also zurueck zum Militaerregime des Shahs, dem verkuender der Moderne: Wer´s damals nicht begriff, dem wurde von den Schlaegertrupps sogar im aufgeklaertem Berlin auf sehr wenig spirituelle Weise die buergerlichen Werte und demokratisches Procedere beigebracht - durch Pruegelperser eben.