Kommentar Irak: Nach dem Stillstand droht der Kollaps

Politisch hat sich der Irak innerhalb von Tagen vom "Stillstand" zum "fast vor dem Kollaps" gewandelt. Die Iraker, die die Amerikaner loswerden wollen, kommen immer mehr in der Offensive.

Ja, politisch gibt es im Irak einen Stillstand, aber immerhin an der Sicherheitsfront sind einige taktische Erfolge zu verzeichnen, also lasst uns erst einmal abwarten. So lautete in der vergangenen Woche in einem Satz die Lageeinschätzung des obersten US-Kommandanten David Petraeus bei seinem lange erwarteten Rapport in Washington. Seitdem der hochdekorierte General seine minimalistische Fortschrittsaussage abgelegt und die ehrenhaften Hallen des Kongresses verlassen hat, hat sich die Lage im Irak noch mehr verschlechtert.

Politisch hat sich das Zweistromland in den wenigen Tagen vom "Stillstand" zum "fast vor dem Kollaps" gewandelt. Mit dem gestrigen Auszug des Sadr-Blocks aus der Regierungskoalition ist Premier al-Maliki endgültig paralysiert. Die Sadristen sind sauer darüber, dass ihre Forderung nach einem konkreten Zeitplan für den Abzug der US-Armee nicht ernst genommen wurde. Al-Maliki, kann bestenfalls nun noch auf die Hälfte des Parlaments zählen. Sein Kabinett, das für Sicherheit und Dienstleistungen sorgen soll, ist ohnehin schon von 40 auf 23 Minister zusammengeschrumpft. Fast die Hälfte seiner Mannschaft ist zurückgetreten, ohne bisher ersetzt worden zu sein. Eine handlungsfähige Regierung, die langfristig für Stabilität im Land sorgt - die sieht anders aus.

Und auch die wenigen Erfolge an der Sicherheitsfront bröckeln. Das "Erfolgsmodell Anbar Provinz" erlebt seinen ersten Realitätscheck. Einer der hochgepriesenen Stammesführer, die in der Provinz al-Qaida den Kampf angesagt hatten, hat seinen Handshake mit US-Präsident Bush inzwischen mit dem Tod bezahlt. "Andere, die sich den Kreuzzüglern unterwerfen, werden folgen", lautet die Drohung im Internet.

Kurzum: Das Kräfteverhältnis zwischen denjenigen, die mit den Amerikanern im Irak zusammenarbeiten wollen, und denen, die die Amerikaner loswerden wollen, hat sich innerhalb weniger Tage wieder zugunsten der Verweigerer verändert. Ein Katz-und-Maus-Spiel, auf das die Amerikaner selbst kaum einen Einfluss haben - trotz der 160.000 US-Soldaten im Land.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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