Kommentar Irak-Debatte USA: Das große Schweigen
Die US-Debatte zum Irak-Krieg meidet das größte Argument für einen Abzug: das menschenverachtende Verhalten amerikanischer Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung.
Bernd Pickert ist Amerika-Redakteur im Auslandsressort der taz.
Nicht einmal zu neuen Argumenten konnte sich irgendjemand aufraffen. Was General David Petraeus, der US-Oberkommandierende im Irak, und jene Senatoren, die ihn befragen durften, im US-Kongress boten, bestand fast ausschließlich aus einer Wiederholung altbekannter Positionen. Angesichts der Lage im Irak sind Kriegsbefürworter wie der Republikaner John McCain genauso ratlos wie seine beiden demokratischen Gegenspieler, Barack Obama und Hillary Clinton. Nur, dass der eine die US-Truppen im Irak lassen und die anderen beiden sie abziehen wollen.
Dabei würde es sich lohnen, einmal einen Blick auf die Erfahrungen jener insgesamt mehr als 500.000 Soldaten zu werfen, die im Irak stationiert waren - nach fünf Jahren sind sie inzwischen ja recht ausführlich dokumentiert. Was sie über ein systematisch menschenverachtendes Verhalten der Soldaten gegen die Zivilbevölkerung in diesem Krieg ohne Fronten berichten, kann eigentlich nur zu einer Schlussfolgerung führen: die Iraker so bald wie möglich von dieser Besatzung zu befreien.
Weder das Militär noch die US-Justiz haben sich bislang in der Lage gezeigt, eine Truppe unter Kontrolle zu bringen, die seit Jahren dazu neigt, ihren Frust und ihre Wut über getötete Kameraden an der irakischen Zivilbevölkerung auszulassen. Kein führender US-Politiker kann so etwas aussprechen - die Soldaten an der Front genießen auf allen Seiten fast den Status von Heiligen. Gerade erst sind im Prozess wegen des Massakers von Haditha, wo im November 2005 US-Soldaten 24 Zivilisten ermordeten, denn auch neue Freisprüche erfolgt.
Sicher, nicht alle US-Soldaten benehmen sich so. Aber die Einsatzmentalität gebietet offenbar, dass es geduldet wird und viele sich so verhalten. Das hat nicht nur für die Iraker schreckliche Konsequenzen. Es erschwert auch jeglichen Versuch eines friedlichen Wiederaufbaus des Landes. Und das könnten auch die Vereinten Nationen oder die Europäische Union noch zu spüren bekommen, sollten sie gezwungen sein, auf Bitten eines neuen US-Präsidenten hin im Irak künftig mehr Verantwortung zu übernehmen.
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