Kommentar Intervention in Libyen: Ein Albtraum wird wahr
Die Europäer bereiten sich vermutlich schon auf eine Aussöhnung mit Gaddafis Sohn und Nachfolger vor. Hauptsache, man wird nicht Teil eines Krieges.
E s sieht so aus, als ob sich Gaddafis Truppen durchsetzen und blutige Rache an der libyschen Revolution üben werden. Irgendwann, nach einer Schamfrist, werden deutsche Außenminister, ob Westerwelle, Trittin oder Guttenberg, ihre Aufwartung in Tripolis machen. Die Damen und Herren der EU-Kommission bereiten wahrscheinlich jetzt schon die Wiederaufnahme der Assoziationsverhandlungen vor, um mit dem smarten Sohn Gaddafis die Rückführung von Flüchtlingen zu organisieren.
Die Berlusconis dieser Welt werden ihre ästhetischen Operationen auffrischen, um ihren Bruderkuss mit dem libyschen Diktator in neuem Glanz erscheinen zu lassen. Natürlich werden Grüne, Linke und Amnesty heftig protestieren. Alle werden dafür kämpfen, dass die politischen Flüchtlinge anerkannt und aufgenommen werden. Und die Männer und Frauen, die an ein Leben ohne den Diktator geglaubt, die dafür gekämpft haben, werden fragen: Warum habt ihr uns nicht geholfen? Die politische Säuberung kann beginnen.
Was soll ich antworten? Ich bin es leid, als kriegswüterisch in die deutsche pazifistische Weltordnung einzudringen. Die einen, besoffen von ihrer Macht, wollen erst dann mit einer Übergangsregierung verhandeln, wenn sie durch eine Wahl legitimiert wurde. De Gaulle und die Résistance wären also für Grüne, Westerwelle und Co. keine legitimierten Gesprächspartner gewesen: Wir wollen keine Kriegspartei werden! Man kann sich ja nicht zwischen Sklaverei und Freiheit entscheiden!
DANIEL COHN-BENDIT ist für die Grünen Mitglied des Europäischen Parlaments.
Den Menschen aus Bengasi, aus al-Sawija aus Ras Lanuf wurde ein bewaffneter Kampf aufgezwungen. Anders als die Armee in Ägypten und Tunesien, die sich - unter dem Einfluss der USA - geweigert hatte, auf friedliche Demonstranten zu schießen, gingen Gaddafis Söldner militärisch gegen die friedlichen Freiheitskämpfer vor. Da hieß es kämpfen oder untergehen.
Wir im EU-Parlament hatten Gelegenheit, mit zwei Vertretern der Übergangsregierung zu sprechen. Sie hatten eine klare Botschaft und Bitte: Nahrung, Medizin, Waffen und Überflugverbot. Aber keine fremden Truppen auf libyschem Boden. Sie sprachen von einer neuen, laizistischen Verfassung. Sie sprachen von Wahlen und über die Rolle der Frau in der Revolution.
Einer der Sprecher, ein älterer Diplomat, sagte, dies sei er der Jugend seines Landes schuldig, die die Revolution trage und der die Zukunft gehören müsse. Politischer Kitsch? Für Zyniker gewiss. Ja, die EU-Kommission soll die Übergangsregierung anerkennen. Ja, wir sind Partei: Waffenembargo für Gaddafi, Waffen für die Aufständischen.
Die Arabische Liga und die Übergangsregierung befürworten ein Überflugverbot. Wir dürfen uns davor nicht drücken. Mit UN-Mandat - ja. Aber was, wenn die Machtzyniker in Moskau und Peking ihr Veto einlegen? Dann einen Entschluss der UN-Vollversammlung herbeiführen: Sie hat schon mit überwältigender Mehrheit Libyen aus der UN-Menschenrechtskommission ausgeschlossen.
Aber hier kann ich schon aufhören. Denn es ist wahrscheinlich zu spät. Bald wird Ruhe in Bengasi herrschen. Wir werden noch einige Tage über ein Überflugverbot light diskutieren, ob man hätte dürfen, können, sollen. Doch darum geht es nicht mehr. 1936 haben die französische Volksfront-Regierung und die konservative britische Regierung die spanische Republik alleingelassen. Hitlers Legion Condor wurde die Lufthoheit überlassen. In Erinnerung bleibt Guernica.
Jetzt könnte ich die ganze Geschichte von Versagen, Irrtümern und Fehlern von Bosnien über Irak bis Afghanistan mobilisieren. Aber es geht ja nur noch um unsere Befindlichkeit, nicht um die Realität in Libyen. Dort droht der politische und menschliche Super-GAU. Aber wir können beruhigt ins Wochenende gehen. Dank Merkel, dank aller Parteien im Bundestag: Wir sind nicht Kriegspartei. Wir schlittern nicht in eine Auseinandersetzung, die nicht die unsrige ist.
Und was sagen wir der neuen arabischen Öffentlichkeit? Wir sagen: Wir werden bei unserem nächsten Parteitag eine ausgewogene Resolution verabschieden: Gaddafi muss weg! Wir unterstützen die demokratische Revolution in Libyen! Na bitte: Nur cool bleiben. Das Leben geht weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt