piwik no script img

Kommentar IntegrationsschulenDer Vormundschaftsstaat

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Baden-Württembergs Kultusministerium besteht darauf, dass Kinder mit Down-Syndrom in Sonderschulen abgeschoben werden.

E s geht ums Prinzip: In Baden-Württemberg kämpfen Eltern seit Schuljahresbeginn dafür, dass ihre mandeläugigen Kinder zusammen mit kulleräugigen unterrichtet werden - und zwar in einer integrativen Schule. Das CDU-geführte Kultusministerium gab zunächst dem Druck der Eltern nach und erlaubte gemeinsamen Unterricht - aber nur unter der Bedingung, dass die Kinder als Sonderschüler klassifiziert werden. Indem es Eltern vorschreibt, dass sie ihre Kinder auf Sonderschulen zu schicken haben, bevormundet das Land die Eltern und diskriminiert die Kinder.

Die Begründung der Regierung lautet, auf einer Sonderschule könne der Nachwuchs besser gefördert werden. Tatsächlich aber wollen die Verantwortlichen ihr gegliedertes Schulsystem um keinen Preis durch integrative Modelle aushöhlen lassen: Selbst wenn diese in der Praxis erfolgreich sind. Kinder mit und ohne Down-Syndrom können nämlich von- und miteinander lernen - neben Zahlen und Buchstaben auch Solidarität, Mitgefühl und Hilfsbereitschaft.

Nicht nur im Süden der Republik sind Bildungspolitiker nach wie vor davon überzeugt, dass die Kinder gefälligst zur Schule passen sollen und nicht die Schule dem Kind gerecht werden muss. Von den bundesweit rund 500.000 Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf werden nur 15 Prozent in Regelschulen unterrichtet. Der Rest lernt an Sonderschulen, separiert von den "normalen" Schülern. Dabei wissen Wissenschaftler und Eltern längst, dass solche geschützten Lernmilieus Kinder mit geistigen, sozialen oder motorischen Beeinträchtigungen keineswegs zu höheren Leistungen beflügeln. Die schulische Separierung bereitet eher den Weg zu einer späteren beruflichen und sozialen Ausgrenzung.

Die Vereinten Nationen haben vor zwei Jahren eine Konvention verabschiedet, nach der Behinderungen als normaler Bestandteil des menschlichen Lebens zu betrachten sind, als kulturelle Bereicherung. Deutschland billigt diese Konvention. Doch von der Umsetzung ist man weit entfernt - jedenfalls in Baden-Württemberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • M
    Mbfc

    Typischer Schwabenfaschismus. Wobei... nicht nur in BW stellen sich die Behörden an. Es ist in jedem Bundesland ein Affenzirkus, Downies in die Regelschule zu bringen. Was Integration anbelangt kann die BRD wirklich von fast jedem anderen Land lernen. Hierzulande werden Downies auf der Sonderschule auf ihre prickelnde Zukunft als Wäscheklammernzusammenbastler in der Behindertenwerkstatt vorbereitet. Anderswo schaffen einige gar ein Studium und behaupten sich auf dem ersten Arbeitsmarkt.