piwik no script img

Kommentar ImplantateLehrreicher Skandal

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Die Rückrufaktion für Silikonimplantate wirft ein Licht auf die generell zu schlecht geprüften medizinischen Ersatzteile für den Körper.

K ünstliche Brüste bitte wieder zurück zum Erzeuger, aber hurtig! Vergleichbare Rückrufaktionen kennt man sonst nur aus der Autoindustrie. Jetzt aber bitten der französische, tschechische, ja selbst der etwas langsame deutsche Gesundheitsminister darum, dass Frauen mit Brustimplantaten der französischen Firma Poly Implant Prothèse (PIP) sich möglichst zügig erneut unters Messer legen.

Der Grund: Das giftige Silikon diffundiere nicht nur in den Körper, wenn die Kissen Risse aufweisen, sondern könne generell "ausgeschwitzt" werden. Die Kosten für die Schadensbegrenzung werden weitgehend übernommen. Auch das ist ein Indiz dafür, wie gefährlich die Implantate offenbar sind.

In Frankreich nimmt die Politik den Skandal zum Anlass, insgesamt eine bessere Zugangskontrolle für Medizinprodukte zu fordern. Das deutsche Gesundheitsministerium indes sieht keinen weiteren Handlungsbedarf. Daniel Bahr wird seinen Kollegen Xavier Bertrand bei seinem Wunsch nach einer europäischen Neuregelung nicht unterstützen.

Bild: Wolfgang Borrs
Ines Kappert

ist Ressortleiterin der Meinungsredaktion der taz.

Aber ist der Wirbel nicht auch ein wenig übertrieben? Schönheitsoperationen waren noch nie ohne Risiko. Das weiß man. Brustimplantate können die Krebsdiagnose erschweren, sie können massive Rückenschmerzen verursachen, und damit wären nur die populärsten Nebenwirkungen genannt. Die letztlich freiwillige Unterwerfung unter den patriarchalen Blick ist eben keine Kleinigkeit. Also muss, wer sich trotzdem dazu entschließt, das erotische Kapital künstlich aufzustocken, auch persönlich die Verantwortung dafür übernehmen?

Ganz so einfach ist es nicht. Anhand der nun zu Recht in die Kritik geratenen Schönheitsindustrie wird nur etwas sichtbar, was weit über sie hinausweist: Nicht nur die Silikonkissen, sondern sämtliche künstlichen Kniegelenke, Bandscheiben und Hüftprothesen sind unzureichend geprüft.

Es geht also keineswegs nur um die Ware, die der ästhetischen Optimierung dient, sondern auch um diejenige, die Menschen hilft aufrecht zu gehen. Alle Medizinprodukte, ob für die Schönheit oder die Gesundheit, müssen Standards genügen. Arzneimittel schaffen das schließlich auch.

Anstatt die Schönheitsindustrie, das Schmuddelkind der Medizin, zu belächeln, können wir ihr dankbar sein: Sie konfrontiert uns mit einem für alle Menschen wichtigen Problem.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

1 Kommentar

 / 
  • RM
    Regine Metz

    Warum lässt man sich wohl ein Brustimplantat einsetzen?

     

    In der aktuellen Diskussion vermisse ich diese Frage. Eher höre ich so einen abfälligen Ton heraus: Eine leichtfertig unternommene schönheitschirurgische Operation erhält jetzt eine Strafe.

     

    Dazu folgende Gedanken:

     

    Vielleicht entstehen durch einen zu kleinen oder zu großen Busen so schwere psychische Probleme, die nach gründlichem Abwägen durch eine Operation gemildert werden können.

    Abgesehen davon kann ja nach einer Krebsoperation, bei der die Brust entfernt werden muss, ein Brustaufbau mit Silikonmaterial erfolgen, sodass eine symmetrische Belastung des Knochenapparates entsteht.

    Mir selbst wurde die Brust vor 11 Jahren entfernt. Ich bin immer wieder dankbar, dass ich lebe. Aber ich mache seitdem regelmäßig Krankengymnastik und Entspannungstraining. Trotzdem leide ich viel unter Schmerzen, Krämpfen etc. Trotz einer Brustprothese verschieben sich die Rippen etc., der Gang in die Sauna und die Unbefangenheit in vielen Situationen sind dahin. Es könnte vielleicht sein, dass diese Beschwerden bei manchen Frauen durch einen Brustaufbau mit Silikonmaterial abgemildert werden.