Kommentar IS-Video und Harry S.: Auf den Leim gegangen

Ließ sich das Oberlandesgericht in Hamburg einem IS-Terroristen täuschen? Diese Frage wirft ein Video auf, das das ZDF verbreitet.

Auf er Anklagebank: Der Bremer IS-Aussteiger Harry S. Foto: dpa

Ging das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg einem Terroristen auf den Leim? Diese Frage wirft ein Video auf, das das ZDF und die Washington Post verbreiten. Der Film zeigt den Bremer Harry S. mit gezogener Waffe. S. wurde im Juli wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung und Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer vergleichsweise milden Strafe von drei Jahren Haft verurteilt. Anklage und Urteil basierten vor allem darauf, was der heute 28-Jährige aussagte. Bei der Verhandlung wurde klar: Es gibt nur seine Version. Das Wenige, was die deutschen Behörden wussten, deckte sich mit seinen Aussagen.

Wer den Terroristen nach derzeitiger Aktenlage auf den Leim gegangen ist, ist das ZDF. Wie die Washington Post weist die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt wenigstens darauf hin, dass das Video aus einer internen Quelle der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) stammt. Das Problem ist aber, dass das ZDF daraus voreilige Schlüsse zieht.

Klar ist ein Mann wie Harry S., der zum IS nach Syrien geht, kein Unschuldslamm. Das rechtfertigt aber noch lange nicht eine tatsachenbehauptende Überschrift wie „Die Lügen des Harry S. : Deutscher Islamist doch an Morden beteiligt“, wie das ZDF titelt.

Dieser vorschnelle Schluss zeigt, dass sich die Rundfunkanstalt wiederum mit einer vom IS zugespielten Botschaft gemein macht. Nach den umfassenden Aussagen und Schilderungen aus dem Innenleben der Terrormiliz, hat der IS aber ein großes Interesse, dem abtrünnigen Syrien-Rückkehrer Harry S. zu schaden.

Sollte sich herausstellen, dass S. entgegen seiner Aussagen vor Gericht doch von seiner Schusswaffe Gebrauch gemacht hat, sind alle Beteiligten gut beraten, auch darüber den Rechtsstaat urteilen zu lassen.

Im schlimmsten Fall kann der Fall von Harry S. vor Augen führen, dass mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht jedem Verbrechen beizukommen ist. Ohne entsprechende Mittel gelänge das aber noch viel weniger.

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studierte Politikwissenschaft, Philosophie und Ethnologie in Potsdam, Berlin und Mexiko-Stadt und schreibt seit 2009 für die taz. Sie volontierte bei der taz in Hamburg, war dort anschließend Redakteurin, Chefin von Dienst und ab Juli 2017 Redaktionsleiterin. 2019 wechselte sie in die Produktentwicklung der taz und ist verantwortlich für die Digitalisierung der täglichen taz.

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