Kommentar IG Metall-Chef: Wie man um Mitglieder wirbt
Mit dem neuen Chef zieht bei der IG Metall der Realitätssinn ein. Berthold Huber steht für Pragmatismus - und hat recht, wenn er vor jeder Initiative fragt, ob sie Mitglieder bringt.
D er neue Vorsitzende der IG Metall hat seine erste, mit Spannung erwartete Grundsatzrede gehalten. Nimmt die größte Einzelgewerkschaft Deutschlands die soziale Stimmung auf und geht nach links - was immer das heißen mag? Davon war nichts zu erkennen.
Reiner Metzger ist stellvertretender Chefredakteur der taz.
Berthold Huber hat zwar einige kernige Sätze von sich gegeben, im Zentrum aber stand der Pragmatismus: "Die entscheidende, die überragende Frage ist die Mitgliederfrage", heißt es in seinem "Zukunftsreferat". Wer solche Topziele vorgibt, kokettiert nicht mit dem Klassenkampf. Der hat erkannt, dass die Linkspartei vielleicht in die Parlamente einzieht, aber die große Koalition regiert. Und dass die meisten Metaller pragmatische Anliegen haben: kurze Arbeitszeiten, ja, aber wichtiger sind der Lohn, die Bedrohung durch Zeitarbeit, bei Ingenieuren sogar die Bürokratie durch Betriebsvereinbarungen über Schichtlängen und so weiter.
Huber hat auch erkannt, dass er nur mit einer gut funktionierenden Basis und gut gefüllten Beitragskonten etwas ausrichten kann. Die Arbeitgeber sehen auch im größten Boom keinerlei Anlass mehr, von sich aus ihrer Belegschaft etwas abzugeben. Ohne Streik geht da nichts. Deshalb hat Huber recht, wenn er fordert, dass nun jede Initiative von der Frage geleitet sein muss, ob das Mitglieder bringt. Was den Mitgliedern gefällt und nützt, muss ja nicht zahnloses Getue sein. Im Gegenteil.
Dazu gehört aber auch eine gewisse Offenheit nach innen. Dass der taz der Zugang zu einem Gewerkschaftstag verwehrt wird, kann noch als Empfindlichkeit des scheidenden Vorgängers Jürgen Peters abgetan werden. In der Vergangenheit gab es jedoch immer wieder Stimmen aus der IG Metall, die von Zurechtweisungen sprachen, wenn sie abweichende Meinungen äußerten. Nun muss man nicht jedem Kritikaster auf dem Gewerkschaftstag gleich ein Rederecht einräumen, aber wer mehr Mitglieder will, sollte auch ein freundlicheres Binnenklima anstreben. Neue dürften wenig Lust haben, erst einmal ihre Stromlinienförmigkeit unter Beweis zu stellen, bevor sie sich engagieren.
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