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Kommentar HessenwahlSchwacher Sieger, gestärkter Verlierer

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Üblicherweise beinhalten klare Mehrheitsverhältnisse eine ebenso klare politische Botschaft der jeweiligen Wechselwähler. Davon kann in Hessen keine Rede sein.

Bild: taz

Bettina Gaus ist Buchautorin und politische Korrespondentin der taz.

Das war eine seltsame Landtagswahl. Üblicherweise beinhalten klare Mehrheitsverhältnisse eine ebenso klare politische Botschaft der jeweiligen Wechselwähler, und an den Gründen für ein Ergebnis gibt es meist wenig zu deuteln. Davon kann in Hessen keine Rede sein. Paradox ist vor allem die persönliche Situation der Spitzenkandidaten von CDU und SPD: Der Verlierer ist gestärkt, der Sieger ist geschwächt.

Noch vor einem Vierteljahr galt als hervorstechendste Eigenschaft von Thorsten Schäfer-Gümbel, dass niemand ihn kannte. Inzwischen wird er als Hoffnungsträger der Sozialdemokraten gehandelt. Das ist zwar eine Position, die sich angesichts der Bewerberlage derzeit relativ leicht erringen lässt, aber in so kurzer Zeit schafft man das sonst nicht einmal bei der SPD. Schäfer-Gümbel hat Zukunft, und das katastrophale Wahlergebnis wird ihn nicht beschädigen. Er ist zu spät gestartet, um sich die Niederlage persönlich anrechnen lassen zu müssen.

Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass stets eine Regierung abgewählt und nicht etwa eine Opposition gewählt wird. Auch dieses Gesetz scheint in Hessen gebrochen worden zu sein. Die Bevölkerung ist nicht plötzlich in neuer Liebe zu Roland Koch entbrannt. Und ausnahmsweise scheint einmal eine Opposition abgewählt worden zu sein. Deshalb ist fraglich, ob Koch von seinem Erfolg parteiintern profitieren kann - zumal eine Koalition mit der FDP das Bündnis in Berlin die Mehrheit im Bundesrat kosten wird.

Aber warum hat die SPD verloren? Darüber lässt sich streiten. Die veröffentlichte Meinung hat sich mehrheitlich darauf geeinigt, dass brave Sozialdemokraten, zumindest im Westen, jede Zusammenarbeit mit der Linken ablehnen und entsprechende Versuche abstrafen. Mag sein. Aber vielleicht fanden einige ehemalige SPD-Wähler es eben auch nicht so prickelnd, dass der Machtwechsel aus den eigenen Reihen heraus verhindert wurde. Auf Analysen von Wahlforschern kann man ausnahmsweise einmal gespannt sein.

Die Ergebnisse von FDP und Grünen lassen sich allerdings auch ohne solche Analysen erklären: Je ratloser die Anhängerschaft der Großen, desto größer die Kleinen. Wenigstens das ist in Hessen genauso wie anderswo.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

2 Kommentare

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  • JB
    Joachim Bovier

    Ausgesprochen lustig die Frau Merkel, wenn sie die FDP warnt, Forderungen zu stellen. Sie hat es noch nicht kapiert: ihre Koalition der schwarzen mit der roten sozialistischen Partei hat seit gestern in Deutschland keine Mehrheit mehr.

     

    Wer die Bürger ständig schröpft, muss sich über die Quittung nicht wundern: Die CDU hat die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte erhöht, die Abschreibungsmöglichkeiten verschlechtert, den verkorksten Gesundheitsfonds mit weniger Leistungen für höhere Prämien durchgesetzt und bis zu letzt an der verfassungswidrigen Abschaffung der Pendlerpauschale festgehalten. Raubritter waren ehrenhafte und zurückhaltende Leute gemessen an Frau Merkel.

    Hinzu kommt: statt sich den Problememen im Inland zu stellen und die Wirtschaft zu befördern, tourt die CDU-Vorsitzende lieber völlig sinnlos durch den Nahen Osten, verschenkt bei Klimakonferenzen deutsche Steuergelder und meint, zu allen Problemen der Weltpiolitik ihren Senf dazu geben zu müssen.

     

    Hessen ist ein Fanal für eine bürgerliche Politik und eine Absage an die Elefantenkoalition von Berlin. Aufgabe der FDP wird es sein, so wie sie entgegen allen Abwerbungsbemühungen der SPD in Hessen zur CDU gestanden hat, auch in Berlin zu stehen, d.h. den Weg zu wirklichen Steuersenkungen freizumachen und zwar schon jetzt, mit dem Konjunkturprogramm 2. Das ist glaubhafte Politik der Wahrhaftigkeit!

     

    Die CDU wäre gut beraten die Sozialdemokratisierung ihrer Partei, die Frau Merkel in den letzten Jahren systematisch betrieben hat, endlich zu beenden und zu den Prinzipien von liberal konservativer Politik und Marktwirtschaft zurückzukehren für die sie seit Gründung der Bundesrepublik gestanden hat. Je früher das geschieht umso besser, schließlich bleibt staatsdirigistische Planwirtschaft immer Misswirtschaft, auch dann wenn sie auf einmal von der CDU statt den Kommunisten praktiziert wird.

     

    Notfalls muss zur Durchsetzung dieser Erkenntnis die ehemalige FDJ Propagandasekretärin eben das Kanzleramt verlassen und Platz für den Mann machen, mit dem sie den wirtschaftlichen Verstand aus der CDU heraus getrieben hat: Friedrich Merz, in Zeiten wie diesen wäre das sowieso der bessere Kanzler

  • UR
    Uwe R.

    Die neue Rolle der FDP

     

    Von nun an hat die FDP wieder reell Einfluss in der Bundesgesetzgebung. Sie sollte sich schnell an den Gedanken gewöhnen, dass der Zuwachs an Macht mit einem entsprechenden Zuwachs an Verantwortung einhergehen muss.

     

    Die alte Rolle der FDP passt nicht mehr zu den geänderten Bedingungen, auf die der Bund heute politisch antworten muss. Es genügt nicht mehr, die eigene Klientel ohne Blick auf das Ganze und ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl unbeirrbar zu verfolgen.

     

    Die Finanzkrisen haben gezeigt, dass die Zukunft jedenfalls eins nicht sein wird und nicht sein darf - nämlich neo-liberal. Hat die FDP das wirklich schon verstanden? Die Botschaft ist aktuell so widersprüchlich wie nie: Steuersenkung fordern, aber die Staatsverschuldung anprangern - wie soll das zusammengehen? Gar nicht, eben.

     

    Superwahlkampf hin oder her, die FDP sollte sich gut überlegen, welchen Preis es die Zukunft dieses Landes kosten wird, wenn jetzt das Füllhorn reichlich über Mittelstand und Freiberufler auf Kosten aller anderen ausgeschüttet werden soll!

     

    Bescheidenheit sollte jetzt nicht schwerfallen, sondern selbstverständlich sein. Die aktuelle Krise rührt schließlich daher, dass man jedes Maß verloren und es überzogen hat. Das sollte der FDP eine Lehre sein!