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Kommentar Hartz IVBloß keine Kosten!

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Erst ein intaktes Bildungssystem und bezahlbare öffentliche Dienstleistungen sichern die Teilhabe auch armer Menschen an der Gesellschaft.

E s kommt, wie es kommen musste: Nach einer Schrecksekunde diskutiert die Regierung nun, ob die Hartz-Regelsätze nach dem Urteil des Verfassungsgerichts statt angehoben nicht sogar gesenkt werden müssten. Ein Sozialpolitiker der CSU argumentiert, die Staatsausgaben dürften keinesfalls steigen. Und der FDP-Generalsekretär will Anreize vermeiden, "dass man übers Kinderkriegen Geld verdienen kann".

Auch wenn es sich hier bisher um Einzelmeinungen handelt, offenbart sich in ihnen doch ein bemerkenswerter Zynismus. Da bescheinigt das höchste Gericht dem Staat ein Versagen, das die Existenz von fast sieben Millionen BürgerInnen berührt. Und keine 24 Stunden später geben die ersten Koalitionäre schon den Tenor vor: Gut, dann kürzen wir eben. Immerhin die Arbeitsministerin äußert sich differenzierter, indem sie bessere Bildungschancen für Hartz-IV-Kinder zum drängendsten Problem erklärt.

Mit dieser unverbindlichen Äußerung hat Ursula von der Leyen sicher Recht: Nur der freie, gleichberechtigte Zugang zu Bildung eröffnet auch Kindern aus armen Familien eine Aufstiegschance. Aber eine Politik, die den Eltern lediglich ein paar Euro mehr als bisher in die Familienkasse wirft, reicht dafür nicht aus. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch arme Familien ihren Kindern die Schulbücher kaufen können. Von einer Regierung, die es mit gleichen Bildungschancen für alle wirklich ernst meint, erwartet man jedoch mehr: etwa mutige Investitionen in Kitas, Schulen und Universitäten. Denn erst ein intaktes Bildungssystem und bezahlbare öffentliche Dienstleistungen sichern die Teilhabe auch armer Menschen an der Gesellschaft.

Bild: anja weber

Ulrich Schulte ist Ressortleiter Inland der taz.

Es wäre allerdings fatal, steigende Sozialausgaben gegen Bildungsinvestitionen auszuspielen. Der Staat muss armen Menschen eine würdige Existenz garantieren, ebenso muss er die Infrastruktur bereitstellen. Auf Geschenke für Hoteliers kann er dafür gerne verzichten.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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4 Kommentare

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  • H
    hto

    Zitat Schulte: "... offenbart sich in ihnen doch ein bemerkenswerter Zynismus."

     

    Bemerkenswert und gleichfalls zynisch, ist es wenn die zu "Neutralität" verpflichtete Journalje immer nur an den Lippen unserer "Treuhänder" von leichtfertiger Übertragung von Verantwortung durch Kreuzchen auf dem Blankoscheck hängt, also auch nur stumpf- wie blödsinnig funktionalisiert den Zeitgeist surft / die Überproduktion von systemrationalen Kommunikationsmüll pflegt und "braver Bürger" spielt, ohne jemals anhand von berechtigten Zweifeln eine selbst- und massenbewußte Alternative von wahrhaftig menschenwürdiger Vernunft zu formulieren - Fordern, Fördern, Protestieren, immer schön im Sinne der konfusionierenden Bildung zu Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche!?

  • H
    HamburgerX

    Wie wäre es eigentlich mal mit mehr Sachleistungen? Dann wäre ein Missbrauch durch das so oft zitierte "Versaufen" der Hartz4-Kinderzuschüsse doch gar nicht möglich.

     

    Und wenn durch eine Hartz4-Anhebung der Lohnabstand zu gering wird, was spricht dann eigentlich im Grundsatz gegen eine (echte) Arbeitspflicht, z.B. bei sehr langjährigen Hartz4-Empfängern, die gesund sind?

  • T
    Tim

    Selten einen so lustigen und dummen Kommentar gelesen.

     

    Ich empfehle diesen Artikel: http://www.welt.de/debatte/article6305249/Der-Sozialstaat-pumpt-Geld-und-vermehrt-die-Armut.html

  • TH
    Thomas Hintz

    Des Bürgers Geld hilft Banken wie noch nie,

    den Armen lehrt man New Economy.