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Kommentar Hartz IV-NeuberechnungPolitisches Delirium

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Das für Hartz IV festgelegte "Existenzminimum" ist niemals eine "objektiv" ermittelte, sondern immer eine politische Zahl gewesen.

M it der Spekulation über die neuen Hartz-IV-Regelsätze lässt sich an Biertischen gut Stimmung machen – es sei denn, unter den Gästen sind Langzeitarbeitslose, die dadurch wohl schlagartig ernüchtert werden. Hat ein Hartz-IV-Empfänger einen Anspruch darauf, dass ihm die Allgemeinheit alkoholische Getränke und Tabak bezahlt?

Bisher sind rechnerisch 19 Euro im Monat für diese Posten im sogenannten Existenzminimum enthalten. Im politischen Streit über die Regelsätze spekulieren nun Haushaltspolitiker darüber, diese Ausgaben zu streichen. Das ist ein allzu durchsichtiger Versuch, Sparpolitik mit angeblicher Disziplinierung zu verbrämen.

Der Hintergrund ist klar: Womöglich kommen die Statistiker in ihren noch geheim gehaltenen Berechnungen zu dem Schluss, dass der Regelsatz von monatlich 359 Euro pro Erwachsenen deutlich steigen müsste, weil auch die Ausgaben der Referenzgruppe der Geringverdiener erheblich gewachsen sind. Doch damit ergibt sich für die Sparpolitiker in der Regierung ein Problem. Eine Erhöhung der Hartz-IV-Beträge schlägt nämlich mit Milliarden an Mehrkosten zu Buche.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Redakteurin für Soziales im taz-Inlandsressort.

Da könnte man doch den neuen Regelsatz wieder künstlich klein rechnen, indem man etwas von "Genussmitteln" erzählt, die nicht zum "unantastbaren" Bedarf gehören, denkt mancher Haushaltspolitiker laut vor sich hin. Zumal doch Hartz-IV-Empfänger angeblich ohnehin zu viel saufen, das falsche Fernsehprogramm gucken und ihre Kinder von jeder Bildung fernhalten.

Die Idee entspringt einem politischen Delirium und ist aus der Not einer Sozialstaatslüge geboren: Genau wie die früheren Sozialhilfesätze ist auch das für Hartz IV festgelegte "Existenzminimum" niemals eine "objektiv" ermittelte, sondern immer eine politische Zahl gewesen, festgesetzt mit Rücksicht auf die Haushaltslage und auf den sogenannten Lohnabstand zu Geringverdienern, der schon aus disziplinarischen Gründen nicht aufgegeben werden soll. Eine würdige Existenz hat aber mit Disziplinierung erst mal nichts zu tun. Das wissen nicht nur Besucher des Oktoberfests.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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13 Kommentare

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  • V
    vic

    @ Floda Nashir

    Feiner Trick der Regierung, die Diskussion auf Alkohol unf Zigaretten zu lenken, was Floda Nashir?

    Reingefallen, wie alle anderen auch.

  • LL
    Lea L.

    Nicht in meinem Namen! Ich distanziere mich in aller Form ausdrücklich von sämtlichen Beschlüssen dieser Regierung. So was trage ich NICHT mit.

     

    Zu ihrer Legitimation kann sich diese Regierung NICHT auf mich berufen.

  • C
    calendula

    Ich könnte mich übergeben, wenn ich Zeitung lese oder die Nachrichten höre. Doch viele Menschen scheinen zufrieden zu sein, so wie jetzt a l l e s hier in Deutschland ist. Eine Gruppe schöpft ohne Hemmungen ab, die andere Gruppe verzichtet dann etwas menr. Was solls?

    Jeden Montag sind in vielen Städten noch Montags-Demos. Da stehen dann immer 3 bis 4 Menschen in der Innenstadt 'rum, die gegen die Missstände prostestieren und werden von den meisten anderen Vorbeigehenden nur müde belächelt. Unsere Mitmenschen haben Tüten und Taschen von der "Tafel" in der Hand und belächeln die Demonstranten.

    Ich verstehe das nicht. Warum kann es hier mal nicht "rundgehen" wie z.B. in Frankreich?

    Rente mit 67!! Was sagen die Deutschen? "jo-schade eigentlich!" Warum geht hier keiner auf die Straße? Warum wehrt sich keiner? Wie lange muss das noch so weiter gehen? Wann ist endgültig alles Geld "oben" angelangt? Wehrt sich dann jemand?

  • D
    deze

    "niemals eine "objektiv" ermittelte, sondern immer eine politische Zahl gewesen"

     

    Natürlich ist das eine,wie die Autorin sagt, "politische Zahl".

    Wie das meiste, was mit, wie auch imer verdientem, Geld zusammenhängt.

    Was stehen wir wem warum zu.Und wem warum nicht.

    Objektivität ist, wenn überhaupt, kaum herstellbar.

    Wie objektiv ist es, wenn Tabak/alkohol mit moralisch erhobenen Zeigefinger

    rausgerechnet und Mineralwasser gönnerisch reingerechnet werden.

    In der Referenzstatistik,aus der die HartzIV-Sätze extrahiert werden, sind sie jedenfalls enthalten.

    Und um diese Personen, die sowas bestimmen, zu ertragen, benötigen wohl nicht wenige von HartzIV betroffene brauchbare Alkohol-undTabakmengen(-:

  • FN
    Floda Nashir

    Natürlich müssen die Hartzis mehr Geld bekommen, um ein würdevolles Leben führen zu können, aber warum sollte der Staat mit seinem knappen Geld den Konsum von Alkohol und Nikotin fördern?

  • DD
    daniel dexter

    Die soziale Ausgrenzung wird voran getrieben

  • M
    Maria

    Liebe Frau Dribbusch, vollkommen richtig! Ich frage mich eh schon seit langer Zeit, wo es da eine Kopplung zwischen tatsächlichen, realexistierenden bundesrepublikanischen Kosten und Sozialhilfe gibt. Beispielsweise schlägt eine Fahrt von Baden-Württemberg bis Berlin mit 200 Euro einfache Fahrt zu Buche, der Regelsatz erlaubt also die Benutzung der DB nicht. Ja, werden denn die Bahntickets in einem Paralleluniversum verkauft? Ist eine Bahnfahrt (zu Verwandten z.B.) Luxus? Ist eigentlich eine Woche Reiterferien für 1 Kind Luxus (nix Dolles - Camping, Pferd selberputzen usw. 90 Euro). Sind 1 Paar Kinderstiefel Luxus (ca. 70 Euro)? 1 neues Buch (ca. 9 Euro)? Aber schon recht: Man hört ja, dass Frau von der Leyen ihren Kindern auch bloß angeknabberte Bücher ausm secondhand genehmigt zu Weihnachten (die Kinderbuchaurtoren bedanken sich bei Geizhals-Ulla;-) - inclusive der Bakterien und Gammel - igitt! Bakterien-Ulla findet dann wohl auch Gebrauchtstiefel mit Fußpilzbesatz ok. Wahnsinn! Dass Kids mal was Neues brauchen, oder mal ne Aufmerksamkeit, 1 Lutscher (achja: gesundheitsschädlich, wie?) oder 1 Zeitschriftenabo..... das ist wohl zu viel der Lebensfreude? Eine traurige, trostlose Gesellschaft! Und jetzt werd ich einem Hartz4 Kid einen ausgeben (neue Schuhe oder 1 Zeitschriftenabo oder ne Gitarre oder sowas....)

  • C
    charlot

    Ja, so ist das, wenn eine Lobby der oberen 15 % die Regierung regiert. Da ist nichts mehr drin für die unteren 15 %, Menschenwürde hin oder Menschenwürde her. Mensch ist da nicht gleich Mensch und Kind schon gar nicht gleich Kind, die einen haben halt das Elite-Gen und die anderen das Dummen-Gen; Merkels Aufregung über Sarrazin nur eine Heuchelei.

  • N
    Norbert

    Es ist eine Schande in und für Deutschland wie die Politiker (die eigentlich im Interesse des Volkes handeln sollen und für das Volk da sein soll) auf der Würde des Menschen herumtrampeln. Gerade diese Sorte von Menschen, die einzig durch den Steuerzahler finanziert werden und deren Pansion ebenfalls durch den Steuerzahler finanziert wird (die auch nicht gerade niedrig ausfällt), gerade diese Politiker haben und zeigen keine Achtung vor dem Menschen. Auch ein ALG II Bezieher hat gearbeitet und Steuern mit erwirtschaftet. Man betrachtet nur die negativen Sachen, die am geringsten sind und die es in jeder Gruppe von Menschen gibt. Es wird schnellst möglich an der Zeit der jetzigen Regierung das Vertrauen abzuverlangen. So kann und darf es nicht weitergehen. Daher bitte ich alle die diese Interessen und Meinungen auch vertreten sich zusammen zu tun um gegen die jetzige Regierungspolitik vorzugehen. Ich danke Euch dass Ihr den Artikel gelesen habt.Denkt nicht zu lange, denkt positiv.

     

    Norbert

  • G
    Graf

    Ein tatbestandlicher Artikel, gut. Eines darf ich noch bemerken: "Herr-Hartz-Vier" -Empfänger waren in der Regel, Menschen, die vorher jahrzehnte lang gearbeitet und entsprechende Sozialbeiträge und Steuern eingezahlt haben, die allerdings von den Politikern, über die Jahrzehnte, zweckentfremdet wurden. Sie haben also einen gesetzlichen Anspruch auf arbeitslosen Geld. Das aufgrund eines kriminellen Puffgängers dieses abruppt geändert wurde, kann man denen nicht anlasten. Und - die "Allgemeinheit" finanziert ganz andere Dinge, die viel mehr kosten aber tödlich sind und sein werden...und wenn von diesen unsäglichen unappetitlichen Politikern stets auf den Sozialetat, der der höchste, im manipulierten Bundeshaushalt sein soll, verwiesen wird, dann muß man auch die Gelder berücksichtigen, die den Unternehmen für ihre Niedriglöhner, als Aufstockung, bezahlt werden. Und die milliarden zweckentfremdeter Rentenversicherungsbeiträge und und und. Verlogen und nur noch widerlich, was hier in unserem Lande, in der Politik abgeht.

  • AR
    Arne Raddatz

    Ein schlechter Witz jagt den nächsten - anders kann man diese Farce nicht nennen ! Erst wird der Heizkostenzuschuß ersatzlos gestrichen (im Schitt wohl 30,-), was nun auch aus der ohnehin schon üppigen "Diät-Zahlung" geleistet werden muß, nun auch noch eine Erhöhung, die gerade einmal die Inflation ausgleicht. Dazu dieser rechnerische Trick mit dem bösen Tabak und dem bösen Alkohol - DANKE, DANKE, UND NOCHMAL DANKE ! ! !

  • M
    Mohammad

    Ich wäre für eine Volksabstimmung zu dem Thema. Das sollten mal die Linken einbringen, dann muss man halt damit leben wenn die Mehrheit dafür ist das die Hartzis mehr Geld bekommen. Aber für so dumm halte ich das deutsche Volk aber doch nicht. Kann ja nicht angehen das Hartzis noch Bier und Zigaretten von der Allgemeinheit bekommt. Was kommt als nächstes? Puffbesuch? Das ist doch eine sehr wichtige Freude! Dann wäre es noch gut wenn die Allgemeinheit noch den Malleurlaub zahlt, kann ja nicht angehen wenn die Leute die arbeiten sich mehr leisten können als Hartzis...

  • D
    devà

    Wenn der Satz für Alkohol gestrichen wird, dann müssten diese fehlenden Kalorien allerdings einem anderen Posten zugeschlagen werden.

     

    Die Absicht dieses Vorschlages ist so durchsichtig, dass in Diskussionen sofort sichtbar wird, wer anderen Menschen die Existenz streitig machen möchte und wer nicht.