Kommentar Hartz-IV-Bezieher: Qualität statt Quantität
Um Langzeitarbeitslosen, die bisher auf der Strecke bleiben, zu helfen, muss sich die Qualität der Betreuung ändern, nicht die Zahl der Termine.
R eden hat noch niemandem geschadet. Gespräche, auch solche, die Menschen mit ihren Arbeitsvermittlern führen, können sie bereichern und unterstützen. Erst recht in einer Stadt wie Hamburg, wo jüngst eine Studie ergab, dass Langzeitarbeitslose und andere "hoffnungslose Fälle" von den Jobcentern nur noch verwaltet werden. Dabei können gerade diese Menschen einen Berater so gut gebrauchen – könnte man jedenfalls meinen.
Doch die Art der Gespräche, die in Jobcentern geführt werden, empfindet die so genannte Kundschaft oft als Nötigung. Das liegt an dem Werkzeug, mit dem die Mitarbeiter dort hantieren: finanziellem Druck – und damit erzeugter Existenzangst.
Die Menschen auf der anderen Seite des Schreibtisches sind bei ihrer Beratertätigkeit an Zielvorgaben gebunden. Ihr Ansporn hat die Arbeitslosenstatistik zu sein. So etwas wie Fürsorge kommt da immer wieder zu kurz.
So jedenfalls fühlt es sich für viele Menschen an, wenn hinter dem Gespräch mit dem Arbeitsvermittler ein bedrohliches Sanktionssystem steht: Eine Anweisung nicht zu befolgen, kann ohnehin knappes Geld kosten. „Schikane“ nennen das Hartz-IV-Empfänger in Internetforen und Blogs. Ihre Gesprächsprotokolle halten fest, was das Jobcenter ihnen aufträgt: Maßnahmen etwa, die sie als sinnlos empfinden, weil sie am Ende doch keine richtige Arbeit bringen.
Dass die Hamburger Jobcenter Arbeitslose nun noch öfter einladen, verbessert diese Situation kein bisschen. Ohne zusätzliche Mitarbeiter fehlt den Vermittlern erst recht die Zeit, auf konkrete Nöte und Bedürfnisse einzugehen. Je größer ihr Zeitdruck ist, desto bereitwilliger dürften sie zur Drohung greifen.
Um Langzeitarbeitslosen, die bisher auf der Strecke bleiben, zu helfen, muss sich die Qualität der Betreuung ändern, nicht nur die Zahl der Gesprächstermine. In den Mittelpunkt gehört der Mensch – nicht die Statistik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation