Kommentar Hamburger Parteitag: Wohlfühlen mit der SPD

Die Parteibasis hofft auf eine Rückkehr zum Postulat der sozialen Gerechtigkeit. Doch eine Rücknahme der Agenda 2010 steht nicht auf der Tagesordnung.

Als Erster sprach nicht der Parteivorsitzende Kurt Beck, sondern Gerhard Schröder. Die Vorverlegung seiner Rede auf dem Hamburger Parteitag der SPD war eigentlich dem gedrängten Terminkalender des Gazprom-Promoters geschuldet. Aber sie passte ins Gesamtkonzept. Denn den Delegierten sollte von Anfang an Kontinuität vermittelt werden. Die beiden anwesenden Exbundeskanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder wurden als Verkörperung sozialdemokratischer Tradition gefeiert. Dass beide Politiker die SPD in tiefe Identitätskrisen gestürzt und Schröder sie an den Rand des Ruins geführt hatte, zählte in diesem erhabenen Moment nicht mehr.

Die Parteitagsregie verbreitete allenthalben Wohlgefühl und Harmonie. Großmütig räumte Schröder ein, "die Agenda 2010 ist veränderbar", während Beck seinen Vorstoß zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I mit Verbeugungen vor Schröders Reformpolitik versah. Schon im Vorfeld des Hamburger Parteitags hatte Beck unablässig betont, die Verlängerung der Bezugsdauer sei nur als Weiterentwicklung eines an sich richtigen Konzepts, nicht aber als eine Ouvertüre zu einer Rücknahme der Agenda 2010 zu verstehen.

Zweifellos ist das Becks Überzeugung. Aber denken die Delegierten des Parteitags, denken die von Schröder gerupften Mitglieder der SPD ebenso? Nach alldem, was von der "Basis" dieser Partei berichtet wird, sehen viele der Aktivisten den Vorstoß Becks als "Wende der Wegzeichen", als Rückkehr zum Postulat der sozialen Gerechtigkeit, also zur Legitimationsgrundlage ihrer Partei. Sie wollen sich nicht länger an den Infoständen der Partei beschimpfen lassen. Sie wollen in die Offensive - gegen Angela Merkel und gegen die von ihr nach wie vor vertretenen neoliberalen Positionen.

Sind solche Hoffnungen auf einen Kurswechsel der SPD nur gemütvolle Aufwallungen, denen prompt die Einsicht ins Unvermeidliche folgen wird? Und hat sich nicht erwiesen, dass jetzt die Ernte der Schröderschen Reformen eingefahren wird? Die nachträgliche Rechtfertigung der Rosskur verfängt nicht mehr. Der Wind in der deutschen Gesellschaft hat sich gedreht. Er bläst jetzt den Verteidigern der "Reform" kräftig ins Gesicht.

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