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Kommentar Halberstadt-ProzessRechts statt Gesetz

Michael Bartsch
Kommentar von Michael Bartsch

In Halberstadt kommen Nazi-Schläger davon, weil die Polizei versagt hat. Derartiges polizeiliches Fehlverhalten ist in Sachsen-Anhalt jedoch kein Einzelfall.

Die Freisprüche im Prozess um den Nazi-Überfall auf Schauspieler in Halberstadt sind beschämend. Das Amtsgericht Halberstadt konnte sich dabei nur auf das stützen, was Polizei, Staatsanwaltschaft und die Zeugen an verwertbaren Beweisen lieferten. Das reichte für eine Verurteilung von drei Mitangeklagten nicht aus, auch wenn sie vom Hauptangeklagten Christian W. belastet wurden. Die schwierigen Umstände in der dunklen Tatnacht dürfen dabei nicht als mildernde Umstände für jene Polizisten gelten, die fahrlässig die Aufklärung der brutalen Schlägerei verschlampten.

Während des Verfahrens saßen sie stets mit auf einer virtuellen Anklagebank. Denn dank ihrer auffälligen Nachlässigkeit konnten Spuren nicht gesichert und Personalien nicht aufgenommen werden, weitere Täter ließen sie laufen. Eine interne Untersuchung hat den Beamten dies ausführlich bescheinigt.

Leider ist ihr Fehlverhalten kein Einzelfall in Sachsen-Anhalt. Ein Untersuchungsausschuss des Landtages befasst sich mit sechs weiteren konkreten Fällen fahrlässigen Umgangs mit rechter Gewalt in dem Bundesland, das in dieser Statistik bundesweit an der Spitze liegt. Zudem war die arme Region zwischen Halle und Stendal stets für überraschende Wahlergebnisse rechter Parteien gut. Hinzu kommt wie überall in Ostdeutschland eine latente Anfälligkeit der ehemaligen DDR-Vopos gegenüber allen, die für straffe Zucht und Ordnung statt für Freiheit eintreten. Ein Telefonprotokoll der Halberstädter Dienststelle aus der Tatnacht illustriert zumindest die Abneigung gegen Bühnenkünstler, die als links gelten.

Das Signal des Halberstädter Urteils ist deshalb fatal: Es gibt eben doch No-Go-Areas, die man zu nächtlicher Zeit und bei linksverdächtigem Aussehen besser meiden sollte. Mehr noch, bei den Opfern des Nordharzer Städtebundtheaters ist das Gefühl entstanden, der Rechtsstaat könne sie weder vor gewalttätigen Übergriffen schützen noch die Täter konsequent verfolgen. An die ermunternde Wirkung des Urteils auf die Nazi-Szene möchte man gar nicht denken.

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Michael Bartsch
Inlandskorrespondent
Seit 2001 Korrespondent in Dresden für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Geboren 1953 in Meiningen, Schulzeit in Erfurt, Studium Informationstechnik in Dresden. 1990 über die DDR-Bürgerbewegung Wechsel in den Journalismus, ab 1993 Freiberufler. Tätig für zahlreiche Printmedien und den Hörfunk, Moderationen, Broschüren, Bücher (Belletristik, Lyrik, politisches Buch „System Biedenkopf“). Im Nebenberuf Musiker.
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3 Kommentare

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  • P
    Procain

    Natürlich konnte das Gericht nicht anders entscheiden. Der eigentliche Skandal ist aber, dass die Polizei von Sachsen Anhalt bei Delikten der "Rechten" ständig versagt. Da ist massive Kritik seitens der Medien nicht nur berechtigt, sondern auch von Nöten!

  • C
    carsten

    Aber Herr Dote!

     

    Der Kommentar sagt doch ausdrücklich, daß das Gericht nicht anders entscheiden konnte, weil Polizei und Staatsanwaltschaft offensichtlich kein Interesse daran haben, Straftaten von "rechts" als solche zu betrachten, und das nicht nur in diesem Fall! Falls ihnen das genehm ist ...

  • AD
    Andy Dote

    Generell halte ich es nicht für optimal, wenn der Verfasser eines Reports die im Report thematisierte Angelegenheit auch noch im Rahmen eines bekanntlich wertungsfreudigeren Kommentars bespricht. Letzteres ist dann durchaus geeignet, Zweifel an der Objektivität des Redakteurs aufkommen zu lassen. Aber das nur am Rande.

     

    Was der Verfasser dieses Kommentars jedenfalls gänzlich ignoriert, ist der Umstand, dass ein Gericht nicht nach Gutdünken und gewünschtem Ergebnis eine Verurteilung herbeiführen kann. Unter pragmatischen Aspekten ist dies schon wegen der Kassation des Urteils in der nächsten Instanz kontraindiziert. Vor allem aber sehen die essentiellen Verfahrensgrundsätze des deutschen Strafprozesses, die Verfassung und die Europäische Kovention für Menschenrechte vor, dass eine Person nur dann verurteilt wird, wenn das Gericht von ihrer Schuld überzeugt ist. Falls das nicht der Fall ist, muss freigesprochen werden.

     

    Womöglich ist dies für Herrn Bartsch allerdings auch "rechts statt Gesetz"...