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Kommentar HaasenburgÜbergriffe öffenlich machen

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Eine Expertenkommission soll die Übergriffe in der Haasenburg untersuchen. Das ist zu begrüßen. Trotzdem: Ein öffentlicher Ausschuss des Parlamentes wäre besser.

I n Brandenburg soll eine Expertenkommission die private Heimfirma Haasenburg untersuchen. Dass überhaupt etwas passiert, ist zu begrüßen. Doch es reicht nicht, die Frage, was mit diesem Heim passiert, einer Kommission hinter verschlossenen zu überlassen, die am Ende weißen oder schwarzen Rauch aufsteigen lässt.

Viel besser wäre ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUA), der auch das Handeln der Landesbehörden und somit vom Ministerin Martina Münch unter die Lupe nimmt und - in der Regel - öffentlich tagt. Etwas beängstigend ist die Ansage der Ministerin, man werde nicht „kriminalistisch“ arbeiten, sondern mit fachlichem Sachverstand.

Nichts gegen Sachverstand, aber hier klingt durch, man wolle alles so genau nun auch wieder nicht wissen. Dafür soll es die Fachwelt richten. Dabei hat die gerade massiv Vertrauen eingebüßt. Wer sich in einzelne Akten vertieft, möchte die Kinder vor dieser Art Hilfesystem lieber schützen. Die Jugendlichen sind Objekte ohne Rechte, finden mit ihren Wünschen und Klagen im Gestrüpp der organisierten Verantwortungslosigkeit kein Gehör.

Kaija Kutter

ist Redakteurin der taz-Hamburg.

Wenn sich nur ein Teil dessen, was ehemalige Heimbewohner sagen, bewahrheitet, haben Vormünder, Jugendämter, Familiengerichte und Gutachter ihren Job nicht gut gemacht. Denn Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Dazu gehört laut Gesetzeskommentar auch ein Verbot von entwürdigenden Maßnahmen wie nackt ausziehen, einsperren, längere Zeit behinderndes Zupacken oder angstauslösendes Bedrängen. Auch das längere Verweigern von Gesprächs- und Blickkontakt ist gesetzeswidrig.

Jugendliche, denen solches Unrecht wiederfahren ist, brauchen nun gute Anwälte, die für sie Akteneinsicht fordern und sie begleiten, wenn sie zur Staatsanwaltschaft gehen. Denn die ermittelt inzwischen wegen eines Anfangsverdachts auf „Mißhandlung von Schutzbefohlenen“. So eine Tat verjährt erst nach zehn Jahren. Die Justiz hat zu tun. Hier gehören Akten gesichert, Mitarbeiter verhört. Wenn nur die Kommission über Konzepte fachsimpelt und die Jugendlichen mit anonymen Meldungen bei der Ministeriums-Hotline auflaufen, wird nicht genug getan, um die Wahrheit aufzudecken.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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10 Kommentare

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  • N
    NiemalsUntertan

    @Stefanie:

     

    Ja, wenn eine® die entsprechende Straftat begangen hat, wäre der JVA-Aufenthalt wohl eine legitime rechtsstaatliche Maßnahme. Nach einer Verhandlung vor einem ordentlichen Gericht wird ein festgelegtes Srafmaß abgesessen. Das hat Regeln und ist eine klare, nachvollziehbare Sache.

     

    Die Einweisung in diese privaten Internierungsheime hingegen ist pure Willkür, von irgendwelchen Bürokraten je nach Tageslaune, Kassenlage und Beziehungsgeflecht hinter verschlossenen Türen entschieden. Verhandlung? Beweise? Rechtliche Vertretung? Urteil, Berufung, Revision? Alles nicht nötig und viel zu teuer - ist doch eh bloß unwichtiges Lumpenpack, nicht wahr?

  • S
    Stefanie

    Oh, wie notwendig ist die fachliche und weniger reißerisch-journalistische Auseinandersetzung ! Die armen, bemitleidenswerten Jugendlichen, von denen Sie im Zusammenhang mit "geschlossenen Einrichtungen" schreiben, haben immer eine erhebliche strafrechtliche Vorgeschichte, die in der Regel annehmen läßt, dass sie bei ungehindertem Fortführen ihres Handelns nicht nur noch weitere unschuldige Bürger in Mitleidenschaft zieht sondern auch letztendlich in die endgültig geschlossene Einrichtung führt - in die JVA ! Aber gut, laßt uns die Einrichtungen abschaffen, dann ist der Weg dorthin wenigstens ungehindert frei !

  • IK
    Irma Kreiten

    Liebe Frau Kutter, ich wuenschte mir, es gaebe mehr JournalistInnen, die ebenso gute Arbeit leisten wie Sie. Alle Achtung.

  • SS
    Svenja Schäfer

    Fixierungen MÜSSEN nicht verboten werden, sie SIND verboten und dürfen nur im Notfall (gravierende Selbstgefährdung!) mit richterlichem Beschluss angewandt werden!!!

  • SG
    Schmidt Georg

    Bildlich gesprochen, die Zugbrücke ist längst hochgezogen , auf der Burgmauer stehen die Verdeitiger, im Vorfeld sind die Verbündeten bereit alle Angriffe abzuwehren-in der Burg selber entwickelt man den Schlachtplan, auch unter der Erkenntnis: Angriff ist die beste Verteidigung, also die Messer sind gewetzt-komme, was da kommen mag !

  • A
    anke

    Parlamentarische Untersuchungsausschüsse bedeuten zusätzliche Arbeit für unsere vielbeschäftigten Abgeordneten. Die müssten dabei nämlich "unabhängig und selbständig" all jene "Sachverhalte […] prüfen", die sie "in Erfüllung ihres Verfassungsauftrages als Vertretung des Volkes für aufklärungsbedürftig halten". Die Versuchung ist groß. Wenn die Vorgänge in der Haasenburg nicht aufklärungsbedürftig sind und/oder nicht in die Zuständigkeit der Parlamentarier fallen, brauchen diese auch nicht öffentlich zuzugeben, dass in ihrem "Verantwortungsbereich" gewisse "Missstände" herrschen/herrschen könnten.

     

    Ich bin sehr gespannt, ob die taz mit ihrer bereits mehrfach vorgetragenen Forderung irgendwann Erfolg hat. Sollte der stete Tropfen den Stein tatsächlich höhlen? Wird sich die notwendige Anzahl Volksvertreter doch noch zum Jagen tragen lassen von der tageszeitung? Und wenn ja – mit welchem Erfolg? Ich meine: Mit welchem Erfolg ich früher meine Kinder genötigt habe, ihre Zimmer aufzuräumen, weiß ich noch. So etwas wie Ordnung halten sie eigentlich erst, seit niemand ihnen mehr auf den Geist geht – und auch heute eigentlich bloß dann, wenn sie selber es für nötig halten.

  • A
    Arne

    Die Konzentration auf die Haasenburg reicht nicht. Dort werden ja Konzepte angewandt, die tatsächlich legitimiert waren und auch noch zum Teil sind.

    Die Frage ist doch viel eher: Brauchen wir überhaupt noch solche Heime, wenn es preisgünstigere Alternativen gibt?

    Bevor Merkels, Schröders, Fischers, Rösslers und Gaucks die BRD in eine DDR-light verwandelten, zumindest, was den Lebensstandard und die öffentlichen Diskurse anbelangt, da schauten wir in der BRD auf Staaten, die uns ein Vorbild sein konnten und nicht nur besserwisserisch auf Länder wie Griechenland, Italien, Zypern, Spanien, Portugal etc.

    In Norwegen sind die meisten Heime abgeschafft. Man braucht sie nicht mehr, es gibt für zivilisierte Staaten andere Möglichkeiten, mit Kindern, Jugendlichen, Behinderten, die sich nicht mehr selbst helfen können, umzugehen als diese Form der Betreuung.

    Es muss endlich eine öffentliche Debatte geführt werden, wie bei gleichzeitigem Anstieg von verhaltensauffälligen Kindern und Jugendlichen im Jugendbereich Mittel eingespart werden und untersucht werden, was für Ziele diese Konzepte haben, die nicht nur in der Haasenburg Grundlage für pädagogisches Verhalten sind. Manchmal wollen Jugendämter eben auch nur die Jugendlichen so lange wegsperren, bis sie nicht mehr in ihre Zuständigkeit als Kostenträger reinfallen, sondern in die der Justiz oder der Psychiatrie. Motto: Wenn dieser oder jene Mensch schon zugrunde gehen muss, dann nicht in meine Zuständigkeit, wenn es unserer Kommune noch das Geld kostet.

    Das ganze System ist so nicht reformierbar.

     

    Bei solchen "Expertenrunden" wie in Brandenburg wird evtl. rauskommen, dass man mehr Fachkräfte braucht, weil das so schön leicht zu sagen ist. Nur: Es waren eben Fachkräfte, die dort arbeiteten und es waren auch Fachkräfte, die solche Konzepte unterstützten und sogar ausarbeiteten. (Würden nicht 80% der Sozialpädagogen u.ä. ihre Statistikscheine nur so nebenbei machen, wenn überhaupt, dann würde man sich so einen Unsinn wie z.B. die "Broken-Windows-Theorie" gar nicht mehr anschauen.)

     

    Wir brauchen andere Überlegungen. Konzepte sind nix, was man Menschen überstülpen kann. Individuelle Lösungen für die Kinder und Jugendlichen brauchen auch individuelle Menschen. Man kann nicht sagen, alle brauchen diesen oder jenen Therapeuten. Man braucht dafür eine große Auswahl von den unterschiedlichsten Charakteren. Charakter kann man nicht erlernen, sondern muss sich bei jedem Menschen bilden. Wer in solchen Heimen wie Haasenburg gearbeitet hat, ohne zu reflektieren, was er da für unwürdiges den Menschen dort antut, hat nicht ausreidhend Charakter.

    Ist es schon so lange her, dass Bettina Wegner feststellte, dass wir schon genug Menschen ohne Rückgrat haben?

  • AU
    Andreas Urstadt

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  • PF
    perry feth

    @taz: natürlich will man alles hiter verschlossenen türen halten und so ist nur eine vorgehensweise die richtige: alle belege und beweise solange zurückhalten, bis es einen öffentlichen ausschuss gibt; da hier eine extreme verdunklungsgefahr gegeben ist, die den ansprüchen einer demokratie keineswegs gerecht wird, muss solange der druck aufrecht erhalten bleiben, bis der öffentliche ausschuss gegründet ist: schon jetzt zeichnet sich ab, dass man mit allen mitteln verhindern will, das erkernnbar wird: welche verstrickungen es gibt innerhalb der landesbehörden gibt und genau da muss der hebel angesetzt werden!...für die taz wäre im übrigen auch der "vamv" ein interessanter fall, weil auch da sich massive verletzungen von kinder und elternrechte abzeichnen, die perfiderweise mit millionen staatlich subventioniert werden;

    mfg p.feth

  • ID
    In Deutschland sowas heute noch möglich !!!!!!

    Überall wo der Staat in Anstalten wie solche Heime, Entziehungsanstalten investiert müssen Insassen öffentlich machen können, was sie dort erlebt haben.

     

    Dann muss der Staat auch unangemeldete Kontrollen machen mehrmals im Jahr. Dazu müssen die Kinder außerhalb des Heimes befragt werden, und die Aussagen dürfen der Heimleitung keinesfalls genannt werden um evtl. Misshandlungen oder Schikanen zu vermeiden.

    Fixierungen müssen verboten sein.

     

    Was in dieser GmbH abgelaufen ist, ist höchst kriminell, da haben sich Sadisten gesucht und gefunden und der Staat hats bezahlt.

     

    Wenn es Anzeichen von Misshandlungen oder Willkür gibt, das Heim und die entsprechend genannten Mitarbeiter mit heftigen Geldstrafen belegen oder Heime sofort schließen ohne die in Deutschland leider üblichen Behördenbürokratie.

     

    Ebenso in Entziehungsanstalten.

     

    Ich war auch im Kinderheim (Scheidungskind), war das schon schlimm für uns Kinder, aber im Gegensatz zu der GmbH harmlos, wenn auch prägend.