Kommentar Grundrechte in Deutschland: Survival of the fittest
Die Forderungen der Ex-Verfassungsrichterin Renate Jaeger sind sympathisch. Aber sie führen dazu, dass das Hierbleiben für Flüchtlinge immer härter wird.
W er sein Land verlässt, hat immer gewichtige Gründe", sagte die Ex-Verfassungs- und Europarichterin Renate Jaeger. Sie mahnte dabei mehr Verständnis für Flüchtlinge an, die nicht aus politischen, sondern sozialen Gründen ihr Land verlassen. Wie jetzt die meisten Flüchtlinge aus Nordafrika.
Wer längere Zeit in Deutschland gelebt hat, solle mit seinen Bindungen an dieses Land akzeptiert werden und die Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen.
Die Vorstellung ist natürlich sympathisch. Kein Liberaler verweigert anderen gerne das Recht auf Freizügigkeit. Doch Jaeger ist realistisch genug, keine gänzlich offene Grenzen zu fordern. Die Staaten sollen die Kontrolle über die Einwandung grundsätzlich behalten, eine negative Entscheidung soll nur schnell erfolgen, bevor sich jemand dauerhaft in Deutschland niedergelassen hat.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz. Er lebt und arbeitet in Freiburg.
Faktisch führt dies aber dazu, dass vor allem diejenigen in Deutschland bleiben können, die möglichst lange illegal untertauchen oder ihre Abschiebung effizient behindern, indem sie zum Beispiel ihre Papiere vernichten.
Einwanderung wird immer mehr zum dreifachen "survival of the fittest". Nur betuchte Familien können es sich leisten, die Reise eines jungen Menschen nach Europa zu finanzieren. Nur zähe Kämpfernaturen schaffen es, sich durchzuschlagen. Nur den anpassungsfähigsten gelingt es, sich hier festzusetzen, sich zu integrieren, um ein Bleiberecht zu ergattern.
Den Linken ist dieser Neo-Darwinismus ideologisch zuwider. Und die Rechten wollen sich Ausländer lieber selber aussuchen. Also werden die Außengrenzen dicht gemacht, die Flucht nach Europa erschwert. Die Zahl der Toten steigt. Je großzügiger die Bleiberechtsregeln, desto verbissener die Abschottung der Außengrenzen. Eine ehrliche Lösung hat niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?
Argentiniens Präsident Javier Milei
Schnell zum Italiener gemacht
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier