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Kommentar Grünen-ParteitagEin bisschen Ehrlichkeit

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Grünen wollen ihre eigene Klientel zur Kasse bitten. Eine Bürgerversicherung mit einer Beitragsbemessungsgrenze 5.500 Euro trifft die Besserverdienenden.

D ie Inszenierung war klar. Die Grünen sollten sich auf ihrem Parteitag als moderat, vernünftig und vor allem geschlossen präsentieren. Bloß kein Streit, denn das verschreckt womöglich das Publikum. Nicht zufällig traf man sich in Freiburg, das unspektakulär von einem bürgerlich-mittigen Grünen regiert wird. Im März wird in Baden-Württemberg gewählt, die Grünen wollen dort regieren. Der Parteitag sollte Kulisse der großen grünen Eintrachtshow werden. Es kam etwas anders.

Die grüne Basis hat keine Lust, bloß Staffage eines Politmarketing-Events zu sein. Das zeigte das Nein zur Winterolympiade in Garmisch. Dieses Nein ist peinlich für die grüne Chefin Claudia Roth, die prompt aus dem Olympia-Kuratorium zurücktrat. Es ist Munition für die Union, die die Grünen als Dagegenpartei verspottet. Aber dieses Nein ist ein Zeichen: Man will sich nicht dem Zwang beugen, die neue grüne Popularität bloß nicht durch Eigensinn zu gefährden.

Die wesentliche Botschaft von Freiburg lautet indes: Die Grünen wollen ihre eigene Klientel zur Kasse bitten. Die Bürgerversicherung mit einer Beitragsbemessungsgrenze von 5.500 Euro würde in der Tat viele grüne Besserverdienende treffen. Beamte und Architektinnen würden mehr, Friseure und Arbeiterinnen weniger zahlen. Es ist sympathisch, dass die Grünen für eine gerechtere Gesellschaft den Zuspruch ihrer eigenen Wählerschaft riskieren. Lieber etwas ehrlicher als nur populär.

Bild: taz

Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz.

Misstrauisch macht allerdings, dass dieser Beschluss wie ein halber Unfall wirkte. Die entscheidende Frage, wie hoch die Beitragsbemessungsgrenze liegen soll und wie heftig man also die eigene Klientel belasten will, debattierte man hektisch in ein paar Minuten. Die Grünen-Spitze beteuert zwar, über ausgefeilte Konzepte zu verfügen, doch so ist es nicht. Wie und wie viel die Grünen umverteilen wollen, ist unklar. Die Partei will auch Hartz IV erhöhen, milliardenschwere Sozialkürzungen rückgängig machen, der Green New Deal wird auch nicht billig. Und für die Schuldenbremse sind die Grünen selbstverständlich auch. Jeder weiß, dass all das zusammen kaum finanzierbar sein wird. Das grüne Gerechtigkeitsversprechen hat bislang etwas Wolkiges.

Die Grünen sind derzeit eine Projektionsfläche für unterschiedlichste Wünsche. In Freiburg haben sie diese Fläche verkleinert. Zumindest ein bisschen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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6 Kommentare

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  • S
    sausi

    @U.-Beat Krünlie

    "Ich leg mich heute auf die faule Haut, zocke ein bisschen World of Warcraft und schreibe dümmliche Leserbriefe."

     

    Quod erat demonstrandum...

  • AH
    Andreas Halle

    Das sich alle Programme der Grünen vollständig finanzieren lassen, ist in der Tat unwahrscheinlich.

     

    Um aber finanziell abgesicherte Programme zu verabschieden, müsste auf den Delegiertenkonferenzen sehr detailiert über Kosten und die Aufstellung eines Haushaltes debattiert werden. Ein Wochenende dürfte dazu kaum ausreichen. Insofern sehe ich hier auch ein technisches Problem.

     

    Denkbar wäre, eine Tabelle an die Leinwand zu werfen, in der die Kosten der unterschiedlichen Programmpunkte "simuliert" werden. So hätte jeder Deligierte zumindest eine Vorstellung davon, ob sich das von ihm unterstütze Votum überhaupt bezahlen lässt.

     

    Hier wäre allerdings zu befürchten, dass jedes Lager mit einer anderen Tabellen anrückt. Wer nun recht hat, ließe sich vom "einfachen" Deligierten kaum noch beurtelen. Am Ende würden vermutlich wieder die gewinnen, die am lautesten poltern, oder jenen Experten einladen, der die meißten Titel auf der Vistienkarte stehen hat.

  • BK
    Barthelmes Klaus

    zur Bürgerversicherung:

    Meine Frau ist als Rentnerin pflichtversichert und zahlt im Jahr über 5000,-- Euro Beitrag alleine. Ich zahle als Pensionist ca. 2300,-- Euro. Der Betrag der Frau ist deshalb so hoch, weil sie für ihre Betriebsrente den vollen Beitragssatz selbst bezahlen muß!! und nur für die gesetzliche Rente den Beitrag mit dem Rentenversicherer teilen kann. Das Schlimme ist, daß man für dieses Geld sehr wenig bekommt!! Zum Beispiel für Zahnersatz oder für ostheopathische Behandlungen fast überhaupt nichts!! Seit wann kann man für 1000.-- Euro Betriebsrente mehr kaufen als für 1000,-- Euro ges. Rente? Einnahmen aus Miete und Zinsen würden uns auch mit dem vollen Beitragssatz treffen. Hier gilt das Gleiche!! Mein Beitrag würde auch bedeutend höher werden, wenn ich Zwangsmitglied der "Bürger"-Versicherung werden müßte. Für Beide würden sich damit die Beitäge bei einer Bemessungsgrenze von 5500.- Euro etwa verdoppeln. Wo bleibt die Belastung nach Leistungsfähigkeit? Mit jeder Erhöhung der Bemessungsgrenze erhöht sich damit die Ungerechtigkeit weiter. Ich glaube das ganze hat wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Gerecht wäre, wenn jeder Bürger mit 5500,-- Euro Einkommen dasselbe bezahlen müßte, egal ob das Einkommen aus dem Gehalt als Arbeitnehmer oder aus der Betriebsrente oder aus Zinsen kommt.

    Klaus Barthelmes

  • K
    kleinerhobit

    Die Bürgerversicherung einzuführen ist einer der besten Beschlüsse, die die Grünen in der jüngsten Vergangenheit gefasst haben.

  • R
    rumpelstilzchen

    Claudia Roth hat mit dem Aufeben ihres Postens im olympischen Komitee einen Fehler gemacht. Sie hätte zumindest versuchen können innerhalb der Stellung etwas "Neues" zu installieren. Papagina Roth erscheint dadurch wenig verantwortungsvoll!

     

    Die Bürgerversicherung würde ich sehr begrüßen! Aber die Partei scheint auch hier zu vergessen, das man nicht die ganze Welt auf einmal auf den Kopf stellen kann.

     

    Es muß sich weltweit vieles ändern, das steht ausser Frage! Aber zur Zeit hat man das Gefühl das keine Partei in der Lage ist wirklich neue innovative Wirtschaftskonzepte vorzulegen. Diese wären allerdings wichtig, um insgesamt auch die gesamte soziale Schiene zu verbessern und bis hin in die Gesundheitsbereiche Kosten zu sparen und weltweit zu einem besseren Umgang mit den Ressourcen führen kann.

     

    Alle vergessen das uns der Klimawndel schneller einholen kann als uns lieb ist. Höher, schneller,weiter ist ein Auslaufmodell, sogar in Hinsicht auf erneuerbare Energien. Wenn man sieht was da läuft und zu mehr Umweltverschmutzung beiträgt als man geahnt hat, fragt man sich wie naiv die Konzepte dafür vorbereitet waren.

     

    Deshalb kann man sich nur wünschen, das die Politik sich endlich für die Sortierung der Wirtschaft am kleinsten gemeinsamen Nenner der Weltpolitik, der Landwirtschaft orientiert. - Wir wollen nämlich alle essen und trinken und leider gefährden wir die Befriedigung dieses Grundbedürfnisses immer mehr. - Auch innerhalb der EU.- Wir sind nicht in der Lage uns vollständig selbst zu ernähren.

     

    Die derzeitige Politik trägt auch noch weiter dazu bei, das noch mehr Arten sterben und wir trotz besseren Wissens einfach so weiter machen. Das angesprochene Thema hätte das oberste auf dem Parteitag der Grünen sein müssen!

  • UK
    U.-Beat Krünlie

    Da wollen wir Gesundheit [und das ist keine Ware!!!] für alle, und die Besserverdiener wurden immerzu geschont, die Rechnungen für die schlechter Verdienenden mitzuzahlen. So haben die Grünen endlich eingesehen, dass sie nicht die Kosten im Gesundheitssektor unter Kontrolle kriegen müssen, sondern einfach nur die Kosten gleichmäßig auf alle verteilen müssen. Top-Leistungen für alle, egal, was es kostet! Am besten, die Grünen legen noch nach und verlangen mit steigendem Einkommen progressive Beiträge für die staatliche Einheitskasse. Überhaupt sollten Einkommensunterschiede nivelliert werden. Wenn alle am Ende das Gleiche bekommen, egal wie viel Geld sie verdienen, ist das doch irgendwie gerechter. Ich leg mich heute auf die faule Haut, zocke ein bisschen World of Warcraft und schreibe dümmliche Leserbriefe. Morgen lasse ich mir ein paar neue Inlays verpassen, auf Kosten der Besserverdiener, die können mich mal.