Kommentar Grünen-Parteitag: Grüne können locker bleiben
Bewegungsorientierte Basis und Realos in der Spitze der Grünen streiten um die Zustimmung zum Atomausstieg. Ihren Wählern ist aber egal, wann das letzte AKW vom Netz geht.
W ieder einmal droht den Grünen ein Showdown. Im Streit über die Frage, ob sie bei ihrem Sonderparteitag am Samstag den schwarz-gelben Atomausstiegsplänen zustimmen sollen oder nicht, kämpft die Parteispitze mit aller Vehemenz für eine Zustimmung. Große Teile der bewegungsorientierten Basis wettern heftig dagegen. Erinnerungen an den Karlsruher Parteitag von 2000 werden wach, als die Grünen-Spitze mit ihrem Atomkonsens die ihr bis dahin nahe stehende Anti-Atom-Bewegung verprellte. Nun stehen die Grünen erneut vor einer Zerreißprobe. Dabei könnten sie sich dieses Mal entspannt zurücklehnen.
Zum einen stehen sie nicht in unmittelbarer Regierungsverantwortung. Ihr Parteitagsbeschluss ist nicht wirklich von Belang, weil die konkreten Verhandlungen mit der Atomlobby ganz allein Schwarz-Gelb führt.
Zum anderen ist die Wählerschaft der Grünen inzwischen eine völlig andere. Die alte Dichotomie von bewegungsorientierter Basis auf der einen Seite und Realos in der Parteispitze auf der anderen mag innerparteilich noch eine Rolle spielen. Ihr Wählerspektrum setzt sich längst aus großen Teilen der Mitte der Gesellschaft zusammen. Und dieser Mitte ist es egal, ob das letzte Atomkraftwerk in sechs Jahren vom Netz geht oder in elf.
Die Angst der Parteiführung, dass ihr bei einer Verweigerung das Stigma der notorischen Neinsager anhaftet, ist denn auch überbewertet. Bei vielen Themen werden die Grünen als sehr viel realitätsnäher wahrgenommen als etwa die FDP mit der Forderung nach Steuersenkungen in Zeiten von Schuldenkrisen. Ebenso wenig muss die Basis im Falle einer Zustimmung befürchten, ihre Ideale zu verraten. Als Opposition können sie bei der konkreten Umsetzung weiter kräftig Kritik üben. Aus Sicht ihrer Wähler bleiben die Grünen die Ausstiegspartei.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen