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Kommentar Grüne und FiskalpaktAngst vor dem Wählerfrust

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Statt Abweichler in der eigenen Partei zu disziplinieren, sollte die Grünen-Spitze ihnen danken. Denn sie signalisieren, dass der Partei ihre Basis nicht ganz egal ist.

D ie Grünen stecken beim Streit über Europas historisches Sparpaket in einem klassischen Dilemma. Ihre Wählerschaft will beim Fiskalpakt etwas anderes als große Teile der Partei. Die Parteispitze muss also einen Widerspruch verwalten, der schwer aufzulösen ist. Und die Tatsache, dass ein Viertel der Fraktion gegen den von ihren ChefInnen verhandelten Fiskalpakt stimmen will, liefert dafür nur den letzten Beweis.

Die klassische Grünen-Wählerschaft – gebildet, entsprechend gut verdienend, kulturell interessiert – hat durchaus ein Herz für Europa. Man schickt die Tochter zum Erasmus-Jahr nach Barcelona, goutiert die unkomplizierte Städtereise, pflegt Freundschaften und kennt auch die ökonomischen Vorteile des gemeinsamen Wirtschaftsraums.

Doch trotz dieser Affinität ist ihre Bereitschaft zur länderübergreifenden Milliardenhilfe begrenzt. Denn die leistungsbereite Mittelschicht teilt verbreitet das Gefühl, sowieso zu viel Steuern zu zahlen. Sie legt Wert auf Abgrenzung von Verlierern, gerade in der Krise nimmt die Angst vor dem eigenen Absturz zu.

Bild: Anja Weber
ULRICH SCHULTE

leitet das Parlamentsbüro der taz in Berlin.

Deshalb ist die Zustimmung der Grünen-Wähler zum Fiskalpakt in Umfragen riesig, deshalb finden sie Kanzlerin Angela Merkel gar nicht mal übel. Und die Grünen-Spitze starrt ängstlich auf diesen wachsenden Frust. Und sie möchte ihn ebenso bedienen, wie es die Kanzlerin tut.

Vielen an der Basis reicht diese Gratwanderung nicht mehr, hier wächst das Bedürfnis nach klarer Kante gegen Merkels brutale Sparpolitik. Wenn sich schon ein Funktionärsgremium wie der Länderrat nur äußerst knapp zum Ja für den Fiskalpakt durchringt, hätte ein regulärer Parteitag sicher abgelehnt.

Die Herausforderung für die Grünenspitze ist also, auf Ängste der Wähler zu reagieren, dabei aber die eigene Partei nicht zu verlieren. Und statt die Abweichler in der Fraktion zu disziplinieren, sollte sie ihnen danken. Denn sie signalisieren der Parteibasis, dass sie nicht völlig irrelevant ist.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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4 Kommentare

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  • R
    Rudi

    Aha, 15 von 68 Bundestagsabgeordneten ist die Parteibasis nach Ansicht des Autors nicht egal.

     

    Das heisst, 53 Bundestagsabgeordneten der Grünen samt ihrer autoritären Parteispitze ist die Parteibasis egal.

     

    "statt die Abweichler in der Fraktion zu disziplinieren, sollte sie (Die parteiführung)ihnen danken. Denn sie signalisieren der Parteibasis, dass sie nicht völlig irrelevant ist."

     

    Ich verstehe es nicht: Die Parteibasis der Grünen macht immer mehrheitlich jeden neoliberalen Mist mit.

     

    Wer bitte wählt diese neoliberale Partei B90/DIE GRÜNEN, die die Finanzmärkte kräftig dereguliert hat, als sie an der Bundesregierung war und die die Spitzensteuersätze für Besserverdiener gesenkt hatte, die die Bundeswehr in unnötige Kriege geschickt hat, die den Sozialstaat extrem abgebaut hat

     

    - wer wählt diese scheiß Partei immer???

     

    Rudi Dutschke wird sich wohl gerade im Grab umdrehen! Weil die Grünen mit ihrer mehrheitlichen Selbstentmachtung morgen im Bundestag der Errichtung einer EU-Dikatatur im Interesse von Banken und Hedgefonds zustimmen, die mit ihren unverantwortlichen Geldgeschäften ohne mit der Wimper zu zucken ganz Europa ruinieren.

  • SS
    Sonja Sonnenblume

    Das ist leider in mehrfacher Hinsicht ein sehr verwirrender Artikel!

     

    Erstens sind sehr viele Leute gebildet. Wer gebildet ist, ist aber heutzutage (auch "Dank" der unsozialen rot-grünen Hartz-IV-Gesetze und der rot-grünen verheerenden Niedriglohn- Agenda 2010) längst nicht mehr automatisch "entsprechend gut verdiendend".

     

    Zweitens wählen - seltsamerweise- immernoch viele Menschen die Grünen, weil sie an die Inhalte glauben, die diese Partei vor 1998 vertreten hat. Und die verdienen oft gar nicht gut, weil sie sich nach ihrem Uni-Abschluss z.B. als Betteldozent oder Dauerpraktikant bei den schlecht zahlenden Medien durchs Leben kämpfen müsen.

     

    Man nennt das wohl kognitive Dissonanz: Die Grünen sind seit ihrer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene 1998-2005 politisch eindeutig nicht mehr sozial, nicht mehr links, nicht mehr pazifistisch, sondern die Grünen sind seitdem mehrheitlich neoliberal.

     

    Das kapieren aber auch viele "Gebildete" immernoch nicht, sondern sie wählen immer wieder gern die bunten Plakate, auf denen so schöne Umweltschutzsachen stehen, obwohl die Grünen z.B. im Bundstag für den Atomausstieg erst 2022 (statt für den machbaren Atomausstieg 2017 !) gestimmt haben. Es gibt bei vielen WählerInnen der Grünen eine erstaunliche mangelnde Bereitschaft die politischen Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen.

     

    Eine "begrenzte Bereitschaft zur länderübergreifenden Milliardenhilfe" ist fast schon zu intelligent für die grüne WählerInnenschaft. Denn dass Hunderte Milliarden deutsche Steuergelder, die per ESM und Fiskalpakt unter Umgehung des (sich morgen auch noch mehrheitlich selbst entmachtenden) Bundestags vom EU-Gouverneursrat dauerhaft an die Banken verschenkt werden, damit kann kein vernünftiger Mensch einverstanden sein !

     

    Die hunderte Rettungsmilliarden kommen nicht den "Ländern" zugute, sondern den Banken, Versicherungen und Hedgefonds. - Ich dachte, das hätten sogar die taz und die bescheuerten Leute, die immernoch die neoliberalen Grünen wählen, verstanden.

     

    Die Grünen-Führung bringt seit Joseph Fischer ihre in der Regel seltsam devote Bundesabgeordnetengefolgschaft "auf Linie". Morgen wollen nun lediglich 15 Bundestagsabgeordnete von 68 nicht mit Ja zu Fiskalpakt und ESM stimmen. Das sind lächerlich wenig grüne Bundestagsabgeordnete, die sich da eine kritische Meinung erlauben. Aber von den Grünen war nichts anderes zu erwarten.

     

    Man kann eben 2013 nur noch die Linkspartei oder evtl. die Piratenpartei wählen.

     

     

    P.S.:

    Überhaupt nicht verstanden habe ich übrigens diesen "Zusammenhang" im Artikel:

    "Deshalb ist die Zustimmung der Grünen-Wähler zum Fiskalpakt in Umfragen riesig, deshalb finden sie Kanzlerin Angela Merkel gar nicht mal übel."

     

     

    @ Chantal

    Die deutschen Hartz-IV-Berechtigten sind nicht steuerpflichtig, da sie zuwenig Geld dafür haben (der Hartz-IV-Satz ist ja faktisch leider nicht mal existenzsichernd, was menschenverachtend ist!)

     

    Allerdings: Die deutschen Hartz-IV-Berechtigten finanzieren am Ende über staatliche Einsparungen, unter denen sie leiden, nicht die griechischen Rentner, sondern u.a. die deutschen Banken, die z.B. in Griechenland ihre durch Spekulationsgeschäfte u.ä. selbst verursachten Kredit-Verluste nicht hinnehmen wollen.

     

    Allein deshalb muss jede sozial denkende Person gegen Fiskalpakt und ESM eintreten. Denn die in deren Folge garantiert kommenden gravierenden Einsparungen (Schuldenbremse im Fiskalpakt) werden u.a. die deutsche Bevölkerung treffen - und zwar nicht den reichen Teil der deutschen Bevölkerung.

     

    Die Mittelschicht und die (gebildete und ungebildete!) Unterschicht wird die Zeche zahlen müssen. Die Zeche für die Banken und die Reichen, die ungeschoren davon kommen, da für sie extra der Fiskalpakt und der ESM gemacht werden.

     

    Ob die seltsamen WählerInnen der Grünen das wissen?

  • AI
    ALG II usw.

    @Chantal:

     

    Ich gehöre auch zu den "Armen" in Deutschland. Ich finde den Umgang mit den "Verlierern" in D auch sehr bedenklich, aber ich werde deswegen nie und nimmer die NPD wählen.

    Ja, auch ich werde erstmals nach vielen, vielen Jahren nicht mehr die GRÜNEN wählen. Aber es gibt ja noch andere Parteien, die ich aus Protest wählen kann, auch wenn die Entscheidung sicher nicht einfach werden wird.

     

    Ich persönlich möchte allerdings meine "Armut" nie gegen die eines anderen ausspielen!!!

     

    Meiner Meinung nach muss in Deutschland endlich was geschehen, damit die Schere in D (und somit auch in der GRÜNEN-Partei) nicht immer weiter auseinander klafft. Schon jetzt gilt fast einhellig:

     

    Lieber keine Kinder für Deutschland als "Hartz-IV-Kinder". Was bitte sagt die finanzielle Situation über den Charakter eines Menschen aus????

     

    Gruselig.... (Wir sind sowieso nicht mehr weit von den Ideologien des Dritten Reichs entfernt)

  • C
    Chantal

    Ich bin Hartz4-Empfängerin und habe bis jetzt immer die Grünen gewählt. Damit wird aber Schluss sein. Für uns ist kein Geld da, aber für notleidene Länder, das kann doch nicht deren ernst sein. Man sollte zuerst uns Deutschen mehr Geld geben bevor die Griechen oder sonst wer mehr bekommen. Wir Hartz4-Empfänger kommen kaum über die Runden, müssen aber mit unseren Steuern die grichischen Rentner bezahlen. Unglaublich ist das. Bei der nächtsten Wahl werde ich wohl die NPD wählen, als Protest. Vielleicht merken die etablierten Parteien dann endlich das wir uns nicht alles gefallen lassen!