Kommentar Grüne Steuerpolitik: Punktsieg der Parteilinken
Wer regieren will, muss sich vom oppositionellen "Wünsch dir was" verabschieden. Die Grünen tun dies in der Steuerpolitik schon zwei Jahre vor der Wahl. Eine kluge Entscheidung.
W er regieren will, muss sich von Liebgewonnenem trennen. Diese Einsicht treibt derzeit führende Grüne um, die ihre Partei auf einen harten Realitätsabgleich vorbereiten. Eine Finanzkommission um Fraktionschef Trittin hat kalkuliert, wie hoch das Staatsdefizit in der nächsten Legislaturperiode ausfällt und welche Einnahmen grüne Steuerideen bringen.
Es ist der Abschied vom oppositionellen "Wünsch dir was", und die Grünen tun gut daran, diese wichtige Diskussion zwei Jahre vor der Wahl zu beginnen.
Hinter dem Kassensturz steht die Einsicht, dass WählerInnen in Zeiten kollabierender Staatshaushalte finanzpolitische Ehrlichkeit goutieren. Wie richtig das ist, führt der Absturz der FDP anschaulich vor. Denn deren Steuersenkungsrhetorik wirkt nur noch grotesk. Interessant ist, dass die Finanzexperten vor allem auf Ideen des linken Parteiflügels zurückgreifen - und teilweise über die Beschlusslage der Grünen hinausgehen.
leitet das Berliner Parlamentsbüro der taz.
Eine Vermögensteuer wird plötzlich wieder erwogen, ebenso ein höherer Spitzensteuersatz, als er bisher im Programm steht. Dieser Punktsieg der Parteilinken ist bemerkenswert. Vor Kurzem wurden sie von den Realos belächelt, gern als haushaltspolitisch ahnungslose Verschwender diffamiert.
Die Diskursverschiebung ist konsequent. Die im Schnitt gut verdienende Klientel der Grünen wäre durchaus bereit, für einen funktionierenden Staat mehr zu zahlen. Ob sich die Grünen eine stärkere Belastung ihrer eigenen Wähler tatsächlich trauen, ist offen.
Ebenso offen ist, was das veritable Defizit, das die Kommission trotz allem am Ende errechnet, für die Inhalte bedeutet. Denn der Kassensturz ist nur der erste Schritt. Jetzt steht die Debatte an, die parteiintern Priorisierung genannt wird: Mit welchen Ideen ziehen die Grünen in den Wahlkampf - und welche lassen sie weg?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“