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Kommentar Globale ArmutLieber jammern als freuen

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Ja, die Messverfahren sind nicht optimal. Ja, im Paradies sind wir nicht angekommen. Dennoch: Der Weltbankbericht zur globalen Armut ist ein Grund zur Freude.

S chlechte Nachrichten sind viel besser als gute. Dieses Prinzip beherrscht nicht nur den Journalismus, sondern auch die Politik. Vielleicht ist das der Grund, warum die großen Entwicklungsorganisationen eine hoffnunggebende Neuigkeit bis heute nicht kommentiert haben: Statistiken der Weltbank zufolge sind die Millenniumsziele der Vereinten Nationen bereits erreicht worden. Die Zahl der sehr armen Menschen weltweit ist zwischen 1981 und 2008 dramatisch gesunken, insgesamt wurde die globale Armut halbiert.

An diesen Zahlen kann man nun viel kleinliche oder grundsätzliche Kritik üben. Ja, die Messverfahren sind wahrscheinlich nicht optimal. Ja, China hat den größten Beitrag zum Abbau der Armut geleistet, im südlichen Afrika hat sie teilweise zugenommen. Und im Paradies sind wir auch noch nicht angekommen. Aber nicht alles wird schlechter, manches wird auch besser.

Aus dem Privatleben kennt man diese Dialektik, nur in der Politik soll sie merkwürdigerweise nicht mehr gelten. Im Rückblick auf die neoliberalen Jahrzehnte bietet sich die Einsicht an, dass die Globalisierung auch ihre guten Seiten hatte. Deregulierung und Privatisierung sind keine Garantie für Entwicklung, aber sie scheinen einen gewissen Beitrag geleistet zu haben, die Lage hunderter Millionen Menschen zu verbessern.

Bild: taz
Hannes Koch

ist Autor der taz.

Indem sie diese Fortschritte ausblenden, verschließen Entwicklungsorganisationen wie Misereor, Venro, Welthungerhilfe oder auch Attac die Augen vor der Realität. Damit arbeiten sie hart am Rande der Ideologieproduktion. Komisch eigentlich – man könnte die gute Nachricht doch auch als Erfolg eigener Arbeit interpretieren. Aber es überwiegt wohl die Angst, das ritualisierte Geschäftsmodell in Frage zu stellen. Jammern bringt mehr Aufmerksamkeit und Geld als Freuen.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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6 Kommentare

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  • J
    Jan

    Die WB hat erst recht schuld daran dass viele Entwicklungländer sich nicht (bsw. sehr langsam oder in die falsche Richtung) entwickeln.

  • H
    HURRA

    OK: ich freu mich jetzt mal, dass die Menschen die meine billigen Klamotten immernoch in Quasi-Sklavenarbeit fertigen dürfen, laut Weltbank nicht mehr als arm gelten. HURRA!

    Und das ich wiederum nicht genug Geld habe, um mir Klamotten zu kaufen, die von Arbeiterinnen mit anständigen Löhnen gefertigt werden. HURRA!

    Und das ich zwar nicht arm bin, aber trotzdem ins Getto ziehen muss weil ich mir meine Miete nicht mehr leisten kann. HURRA!

    Und dass die Menschen, die in Afrika unsere Rohstoffe für Hungerlöhne aus der Erde kratzen gottseidank gar keine Miete zahlen müssen weil das in Afrika so schön warm ist. HURRA!

    Und das der Autor sich aus dem Prekariat heraus sich so schön über einen total objektiven Weltbankbericht freuen kann. HURRA!

  • VS
    Volker Seitz

    Das Erscheinungsbild vieler afrikanischer Städte und deren Armenviertel legen den Verdacht auf bescheidenen Wohlstand nicht nahe. Erlöse aus Rohstoffen wie Öl und Mineralien (mindestens 20 afrikanische Staaten sind reich damit gesegnet) fließen noch immer zu großen Teilen in die Taschen kleiner Machteliten. Nach wie vor wird (beachtliche Ausnahmen Ruanda, Mauritius, Botswana, Ghana) zu wenig in staatliche Bildungseinrichtungen, Gesundheit und Landwirtschaft investiert. Afrika wird erst zu einem breiten Wohlstand kommen , wenn das Führungspersonal erkannt hat, dass Bildung der Schlüssel zur Demokratie, Freiheit und Entwicklung ist.Der südafrikanische politische Analyst Moeletsi Mbeki ist überzeugt, dass afrikanische Politiker Angst vor zu viel Bildung haben, denn damit werden sie automatisch zunehmend hinterfragt. Die Ursache der Armut ist bis heute das Versagen der afrikanischen Eliten. Afrikanische Führer, die sich um das Gemeinwohl und eine nachhaltige Entwicklung ihrer Bevölkerungen kümmern, sind immer noch Ausnahmeerscheinungen. Seit der Unabhängig wurden in vielen Ländern noch nie vom Staat Schulen gebaut. Entweder sind es kirchliche Bildungseinrichtungen oder durch ausländische Entwicklungshilfe und Privatinitiativen errichtete Schulen. Afrikas Milliardäre und Millionäre investieren nicht im eigenen Land, 700 Milliarden Dollar sind außerhalb des Kontinents geparkt. Engagierte und leistungswillige junge Menschen sehen in ihren Ländern keine Perspektiven und verlassen sie unter unwürdigen Bedingungen.

     

    Das größte Problem bleibt aber die beängstigende Bevölkerungsexplosion. Beispiel: Nigeria hat derzeit 160 Millionen Einwohner. Die UNO geht von einem Anstieg auf 730 Millionen im Jahr 2100 aus. Mit diesem Bevölkerungswachstum wird es keine Wohlstandsfortschritte geben können.

    Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert"

  • AK
    Ahnungsloser Kommentar?

    Ziemlich dünn, dieser Kommentar. Es bedarf einer längeren Auseinandersetzung mit dem WB-Bericht, um ihn zu verstehen und ggf. kritisieren zu können oder nicht. Ich habe dafür keine Zeit. Denke aber, dass die Menschen, die ihre Zeit Attac widmen, besser hierfür ausgestatett sind, als der Kommentator der taz. Spontan fällt mir ein: die Armut in den USA ist rapide gewachsen, die Armut in Spanien, Griechenland wird nicht erwähnt - könnte es sein, dass wir uns durch die "segensreiche" Globalisierung alle einem Gleich"klang" des Prekariats annähren, soll heissen, die Ärmsten werden (was kein Kunststück ist) *etwas* weniger arm, wir "Reichen" werden zügig immer ärmer gemacht.

    Kurz: es gibt hier keinen Anlass, dumm-blöd fröhlich im Kreise zu springen und sich über den auch aus Eigeninteresse positiv gefärbten Weltbank-Bericht zu erheitern.

  • D
    Dirk

    Dafür mag ich die taz - trotz vieler Artikel, die mich aufregen: Immer mal ein Kommentar abseits jedes linken Dogmatismus!

  • S
    sonja

    Wenn ich so einen Artikel lese muss ich mir doch erstmal die Augen reiben.

     

    Es gibt also einen Grund zur Freude, weil angeblich die weltweite Armut gesunken ist. Und gewisse Organisationen sollen gefälligst nicht jammern, bzw. jammern nur, um mehr Geld zu bekommen.

     

    Hat der Verfasser denn eigentlich registriert, dass in den letzen 20 Jahren in der westlichen Welt der Reichtum enorm zugenommen hat, dass es Länder gibt, die früher mal zu den Entwicklungsländern zählten, nun aber auf dem Weg zur modernen Industriegesellschaft sind. Wie China zum Beispiel. Und das der Kampf um Bodenschätze, fruchtbares Ackerland und Wasser jetzt erst so richtig anfängt. Wer leidet am meisten darunter, ebenso wie unter den Folgen des Klimawandels? Richtig, die Menschen in den unterentwickelten Ländern, besonders Afrika südlich der Sahara. Denen geht es auch bestimmt nicht besser, sondern immer schlechter, ohne große Aussicht auf wirkliche Besserung. Und ebenso wie die Schere zwischen arm und reich in den Industrienationen immer weiter aufgeht, wächst die Kluft zwischen den entwickelten und den unterentwickelten Ländern. Ob das ein Grund zur Freude ist? Höchstens Wasser auf die Mühlen der FDP.