Kommentar Gipfeltreffen Affäre Edathy: Kühles Krisenmanagement

Merkel, Seehofer und Gabriel handeln besonnen. An einer weiteren Eskalation hat niemand Interesse. Sie werden den gewieften Oppermann im Amt belassen.

Der SPD-Fraktionschef wird wohl nochmal davonkommen. Bild: reuters

Hat der Fall Edathy das Vertrauen innerhalb der Großen Koalition unwiederbringlich zerstört? Muss die SPD nun ihren Fraktionschef opfern, weil die CSU nach dem Fall von Hans-Peter Friedrich Blut sehen will? Die Antwort lautet in beiden Fällen: Nein, natürlich nicht. Das Prinzip „Auge um Auge“ mag im alten Testament seine Logik entfalten. Aber Rache taugt nicht, um die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt zu lenken. Das wissen alle Beteiligten der Koalition, vorneweg Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer. Bisher drangen keine Details aus ihrem Sechs-Augen-Gespräch im Kanzleramt nach außen, allein das ist – es geht um eine Vertrauenskrise! - schon eine gute Nachricht.

Dennoch liegt eine Vermutung nahe: An einer weiteren Eskalation hat niemand Interesse. Der entstandene Schaden wiegt schwer genug, Merkel betreibt längst offensiv Appeasement-Politik. Das gilt übrigens auch für den CSU-Chef. Horst Seehofer, der die SPD vor Kurzem scharf angriff, wird Ruhe geben. Er spielt lustvoll das Enfant terrible der Koalition, doch seine Eskalationen sind durchaus kalkuliert. Seehofer, der übrigens nie den Rücktritt des SPDlers Thomas Oppermann direkt gefordert hat, musste mit starken Worten die Vergeltungsgelüste der bayerischen Basis bedienen. Schon allein, um sich selbst zu schützen, schließlich hat er den unglücklichen Friedrich selbst nicht wirklich gestützt.

Seehofers Empörung ist also unecht, seine Strategie aber ist sehr nachvollziehbar: Er wird sich den Rücktritt in sein virtuelles Schatzkästchen legen. Um ihm dem SPD-Chef bei günstiger Gelegenheit zu servieren und ein Gegenpfand zu fordern. So verrückt das klingt: Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SPD plötzlich bei einem ungeliebten Thema auf wundersame Weise nachgibt. Also: Friedrich gegen Vorratsdatenspeicherung.

Und Oppermann? Der SPD-Fraktionschef wird wohl nochmal davonkommen. Wenn ihm heute im Innenausschuss kein Fehler passiert, bleibt er im Amt. Wirklich fair ist das nicht. Sein Anruf bei BKA-Chef Ziercke im Oktober, in dem er sich nach Interna im Fall Edathy erkundigen wollte, war ein klarer Fehler. Ein Politiker, der seinen Status und eine persönliche Connection nutzt, um geheime Informationen über einen Dritten zu erfragen, handelt nicht korrekt.

Das Netzwerk zählt

Stimmt nicht, findet SPD-Chef Gabriel. Jeder Bürger habe doch das Recht, bei Exekutivbeamten nachzufragen – die entscheidende Frage sei, ob diese antworteten. Dieses Argument ist natürlich Unfug. Erstens werden normale Bürger spätestens im Vorzimmer des BKA-Präsidenten abgewimmelt. Ebenso erginge es übrigens auch einem Unternehmer, der beim örtlichen Polizeipräsidenten interne Details über Untergebene abfragen will. Zumindest dann, und das ist der Punkt, wenn er den Polizeichef nicht persönlich kennt.

Das ist der ungute Beigeschmack dieses Telefonats. Oppermann und Ziercke kennen sich, beide bewegen sich auf höchster Ebene im Politikbetrieb. Deshalb besteht der begründete Verdacht, dass sie sich in irgendeiner Form über den Fall verständigt haben, auch wenn das jetzt beide abstreiten. Es gibt in der Politik jede Menge Sprachcodes, mit denen sich Dinge bestätigen oder dementieren lassen, auch wenn man sie nicht im Detail bespricht. Allerdings: Dieser Verdacht wird sich schwer belegen lassen, die beiden waren unter sich.

Am wichtigsten ist bei der Angelegenheit etwas anderes. Merkel, Seehofer und Gabriel handeln sehr rational, wenn sie Oppermann im Amt belassen. Es hat für sie nur Vorteile. Der gewiefte Jurist gehört der SPD-Rechten an, er ist ein ausgewiesener Fan der Großen Koalition und in der Fraktion bestens vernetzt. Die SPD hat keinen Besseren, um ihre Parlamentarier in diesem ungeliebten Bündnis bei der Stange zu halten.

Anders gesagt: Sogar Merkel und Seehofer haben ein sehr egoistisches Interesse, diesen Mann nicht zu verlieren.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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