piwik no script img

Kommentar GentrifizierungStadt der Zukunft: Zombietown

Kommentar von Georg Seesslen

Die Zukunftsstadt behandelt die Bewohner, als seien sie eigentümliche Parasiten-Schwärme. Und öffentliche Räume funktionieren nur noch als soziale Selektionsmaschinen.

Science-Fiction-Fans wissen es seit einem halben Jahrhundert: Die Stadt der Zukunft wird aus einem geschützten Luxusraum der Superreichen und einem endlos wuchernden Slum bestehen. Unsere Städte folgen nämlich einerseits der Logik des Kapitals und andrerseits der Logik des Todestriebs. An vielen Stellen sehen sie aus, als sei ihnen bereits das Bewohntwerden zum Gräuel geworden, als wären Menschen für sie nur ein eigentümlicher Parasitenbefall. Die gültigste Metapher für den Restmenschen in den zu Tode sanierten und gleichzeitig zu Tode verkommenen Städten ist der Untote, ist der Zombie.

Dass unsere zukunftsorientierten Städte - siehe Hamburg, siehe Stuttgart - aus einem zirkulären System von Gentrifizierung und Verslummung entstehen, was die Wohngebiete anbelangt, sind wir seit geraumer Zeit gewohnt. Und die dazugehörigen Tragödien kennen wir auch: Ein Viertel wird saniert, die alten Mieter, die entweder die steigenden Kosten nicht mehr tragen können oder ganz einfach zum neuen Typus des Anwohners nicht mehr passen, werden hinausgedrängt. Dabei geht man indirekt und nicht selten auch direkt über Leichen. In derselben Logik und in denselben Strukturen, in denen man ein Viertel sozial und kulturell mörderisch "sanieren" kann, kann man ein anderes "verkommen lassen". Beide Strategien sind für die Immobilienbesitzer und ihre Nutznießer (auch in der Politik) profitabel. Zudem machen sie die Dynamik des Systems aus, denn der Wert einer Immobilie ist kein absoluter, sondern ein relationaler. Sonst würde sich das Spekulieren ja nicht lohnen.

In der neoliberalen Welt, in der die Lebensgrenze nicht mehr zwischen Fabrik und Wohnung verläuft, sondern zwischen Schlafen und Kaufen, werden schließlich auch die öffentlichen Räume, wie etwa der Bahnhof, gentrifiziert. Der soziale Zugang soll beschränkt werden. Es werden soziale und kulturelle Aufenthalts- und Verständigungsorte geschaffen, zu denen Verlierer keinen Zutritt mehr haben. Wer hier "bleibt", auch nur für eine gewisse Zeit, der muss das nötige Geld haben, und das fängt bei der Toilettenbenutzung an.

Eine klassisch-kapitalistische Stadtentwicklung hat einen ihrer Motoren in der Differenz der Immobilienpreise zwischen Zentrum und Peripherie. Die Gentrifizierung teilt die Bewohner eines Wohnviertels: Die einen gehen ins Ghetto, die anderen fliehen in die Peripherie. Damit wird jedes Mal der Druck im Ghetto erhöht, und die Preise in der Peripherie steigen. Dieser Preisspirale hält in aller Regel nicht einmal der sich sicher wähnende "kleine Hausbesitzer" stand. Der Weg dann geht entweder zurück in die Städte, das heißt in die Ghettos, oder noch weiter an die Peripherie.

Gentrifizierung erzeugt also ganz direkt jene Megacity, die keinen kulturellen Zusammenhang mehr hat und die letztlich nichts anderes mehr kontrolliert als Geld, Blut und Droge. Die öffentlichen Räume sind dabei soziale Selektionsmaschinen, wie es früher die Stadttore waren. Womit wir wieder bei den Zombies wären. In der Science-Fiction legen sie und andere Verlierer des Neoliberalismus die gentrifizierten öffentlichen Räume in Schutt und Asche.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • H
    herrschreiner

    stimmt ja. aber ist irgendjemand geholfen, oder kann praktisch weiterdiskutiert werden, nachdem das problem so abstrakt-kuenstlerisch verwortet wurde? fuer real-world auseinandersetungen sind zombie fantasien nur bedingt nuetzlich (ich stell mich selbst zumindest nicht so gerne als zombie vor).

    der kulturelle wert, den zB arbeiter (traditionen) und subkulturen (innovationen) einer nachbarschaft geben, wird von investoren zu geld gemacht, dh.gentrification. hier wird etwas konkret gestohlen, weshalb es irritiert. genau da kann widerstand ansetzen: selber zuerst den geldwert draufpappen! irgendwie erfinden, die anderen machen auch nicht mit astrophysikalischer praezision, sondern mit fantasie mal zementpreis. dann geld verlangen - die kulturelle arbeit als sein eigenes produkt einklagen - marke viertel - warum nicht? so liesse sich menschenvertreibung und kulturstehlen mit etwas aufwand vermeiden oder abbremsen (ein bischen geld im viertel oft doch wieder gewuenscht...) um uns evolviert das prinzip copyright, es wird ueberall weiter, flexibler. nicht nur im www! bauern verstehen sich als landschaftspfleger, und streiten fuer bezahlung dieser arbeit, ohne die es keine 'erholungslandschaften', keine vertrauten waelder und wiesen gaebe. die stadt ist nicht anders. keine® braucht sich zu fein sein, seine/ihre kulturelle viertelarbeit zu berechnen, und irgendwie einzutreiben versuchen. strategische nutzung von spreadsheet und das richtige blabla auf antraegen sind mittel der sozialen stadtverteidigung. copyright your viertel bevor der bauherr es tut.

  • A
    andyconstr

    Ja, wenn alte Kieze mit ihren Bewohnern aufgelöst werden ist das der sozialpsychologische Untergang der Gesellschaft.Meist greift nach der Stadtteilsanierung auch in der dann nobleren Gegend Anonymisierung und Isolierung um sich.Man muß ja bedenken das wir in der Generation Mobil und Flexibel leben, selbst Familienstrukturen werden dadurch völlig verstreut.Direkte soziale Kontakte und Gemeinschaft gehen dabei immer mehr verloren.Wenn dann noch die gemeinnützigen Organisationen, wegen Kostensenkung dicht gemacht werden hat der Mensch mit seinen Problemen keinen unmittelbaren Anlaufpunkt mehr.Also trägt er seine Probleme in die Beziehung, überträgt sie auf, wenn überhaupt noch vorhanden, mögliche Kinder u.s.w..Auch vor allem weil die Belastung durch die Arbeit zugenommen hat.Depressionen haben zugenommen und psychische Erkrankungen bestimmt auch.Vor allen Dingen wenn unsere Gesellschaft altert, werden wir viele gebrechliche Pflegefälle bekommen, denn wer bewegt sich ohne Kontakte schon großartig, ich sehe es ja in meinem Plattenbauumfeld.Der Mensch wird zwar bei uns in Deutschland noch versorgt, aber um gute Strukturen und Umfelder für das Leben kümmert sich kaum jemand.Denn der einzelne Mensch kann doch die Wohnstrukturen und die kommunikativen Umfeldbedingungen kaum ändern. Also einen Kiez wohlstandssanieren ist sozial kaum noch sinnvoll, weil man treibt die, die sich zusammengefunden haben auseinander und meist bekommt man dafür einen anonymen Stadtteil.Also sinnvoller ist es den Kiez zu sanieren, aber die Gemeinschaft, die ja manchmal über Jahrzehnte gewachsen ist, nicht zu zerstören.Wir haben nicht viel Gemeinsinn, wenn wir den Rest auch noch kaputt machen, dann befinden wir uns völlig auf dem Egotrip.Denn der Trend geht ja dazu die Bedürfnisse schnell und unkompliziert zu befriedigen und dabei wenig Verantwortung zu übernehmen und schnell reich zu werden.Das Leben im Luxus nicht unbedingt gesellschaftliche und sozialpsychologische Qualität bedeutet ist vielen nicht bewusst, oder auch egal.Deshalb ist es gut sich gegen Gentrifizierung zu wehren.Die ärmeren haben den Vorteil zusammenrücken zu können, bei den Reichen ist das nicht so einfach möglich.Aber wenn niemand mehr da ist, dann ist es auch dort mit dem Nutzen von Gemeinschaft vorbei.

  • SB
    Stenzel, Benjamin

    Diese Entwicklung kann Heute schon gut beobachtet werden wenn mann über unsere Landesgrenzen hinweg sieht.

    So werden in Rio der Janeiro Mauern um die Slums

    gezogen, welche der "Kriminalitätsbekämpfung" dienen sollen,

    ebenso von Israel, hier dann mit der "Terrorabwehr" begründet.

    Und auch in Haburg giebt es schon konkrete Beispiele,

    so wurde etwa die Reihenhaussiedlung "Dorfanger Boberg", gelegen am Süd-Ost Rand der Stadt zwischen Mümmelmannsberg und Bergedorf,

    so gebaut dass sie mit wenigen Wachleuten und einigen Kameras Komplett zu überwachen

    (und abzuschotten) ist. Das diese (noch) nicht eingesetzt wurden lag nur an der ablehnenden Haltung der Bewohner.

    Die Gefahr ist also durchaus Real.

    B. Stenzel