Kommentar Games Convention: Routine auf dem Schirm
25 Jahre nachdem die ersten populären Games auf den Markt gekommen sind, scheint das Computerspielen die nächste Stufe der kulturellen Legitimität zu erreichen.
Tobias Rapp ist Musikredakteur der taz.
Das muss wohl der kulturelle Fortschritt sein: In Leipzig findet die Spielemesse Games Convention statt und niemand redet von Schulattentätern. Und nicht nur das. Der Bundesverband der Entwickler von Computerspielen (Game) ist als Mitglied in den Deutschen Kulturrat aufgenommen worden. Ist die "Spieleindustrie endgültig im kulturellen Bereich angekommen", wie der Game-Chef frohlockt?
Alle populären Kunstformen galten in ihren Anfängen als gefährlich, immer wurde ihnen nachgesagt (und von Wissenschaftlern nachgewiesen), sie machten gewalttätig oder seien zumindest der geistigen Gesundheit abträglich, machten abhängig. Von Romanen hieß es im frühen 19. Jahrhundert, ihre Lektüre könne zur Hysterie führen, das Kino wurde Anfang des 20. Jahrhunderts für den allgemeinen Sittenverfall verantwortlich gemacht, Rockmusik erging es nicht anders.
Weil populäre Kunst immer eine offene Grenze zum Rausch hat, leuchtete das auch immer wieder ein. Es waren und sind Vergnügungen, die vom zeitlich begrenzten Kontrollverlust handelten und handeln. Ob es der Leserausch ist, das Gefühl, "Lost in Music" zu sein, oder das Eintauchen in die virtuellen Welten eines beliebigen Simulationsspiels. Irgendwann schlich sich dann immer die Routine des gesellschaftlichen Umgangs ein, und nach ein paar Jahrzehnten war das Buch, der Film, die Rockband Teil der guten alten Zeit. Anfang der Achtzigerjahre kamen die ersten weltweit erfolgreichen Computerspiele auf den Markt. Ist diese Kunstform nach mehr als 25 Jahren nun so weit, die nächste Stufe der kulturellen Legitimität zu erklimmen?
Es scheint so. Vor allem, weil der Deutsche Kulturrat seine Entscheidung nicht kulturwissenschaftlich begründet, sondern mit einem ganz handfesten Arbeitsplatzargument. Was Drehbuchautoren, Szenografen, Komponisten, Musikern, bildenden Künstlern, Grafikern und Geisteswissenschaftlern die Miete bezahlt, muss wohl ein Kulturgut sein.
Wie weit dies trägt, wird man allerdings erst dann sehen, wenn das nächste Mal ein Jugendlicher durchdreht und auf Lehrer und Mitschüler schießt. Und man auf seinem Computer ein Egoshooterprogramm findet.
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