Kommentar G-8-Urteile: Schwarzer Block in Uniform

Die drakonischen Urteile gegen zehn italienische Demonstranten stehen in keinem Verhältnis zu ihren Delikten. Polizeikräfte, die in Genua teils grundlos prügelten, blieben indes ohne Strafe.

Harte Strafen für "professionelle" Krawallmacher, ein relativ mildes Urteil für militante Protestierer, die sich gegen die Polizei wehrten, und schließlich ein kräftiger Rüffel für ebenjene Polizei: Auf den ersten Blick wirkt das Urteil im Prozess gegen die G-8-Gegner von Genua fast salomonisch. Aber auch nur fast. Denn die Erbarmungslosigkeit, mit der zehn Demonstranten für bis zu elf Jahre in Haft geschickt werden sollen, steht in keiner Proportion zu ihren Delikten. Totschläger kommen oft besser weg als die, die in Genua die Konfrontation mit der Staatsmacht suchten, indem sie Banken in Brand steckten und Supermärkte plünderten.

Und auch der den "Ungehorsamen" gewidmete Teil des Urteils - sie kamen glimpflich davon, weil das Gericht die Verantwortung für die Straßenschlacht mit ihnen bei der Polizei sah - erinnert bei näherem Hinsehen mehr an Pontius Pilatus denn an Salomo. In Genua sei für einige Tage der Rechtsstaat suspendiert worden, in einer Weise, wie es sonst nie in Westeuropa nach 1945 geschehen sei, hatte amnesty international nach den blutigen Tagen von Genua im Juli 2001 festgehalten. Und das Gericht gibt amnesty jetzt in der Substanz recht. Auf Genuas Straßen war ein zweiter, viel mächtigerer Black Block unterwegs, ein Schwarzer Block in Uniform, der hunderte Demonstranten - auch wenn sie völlig friedlich waren - krankenhausreif schlug, festnahm und in Haft dann mit an Folter grenzenden Methoden misshandelte. Deshalb kassierte die Kammer die Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt - und verurteilte dennoch jene Demonstranten, die sich im CS-Gas-Nebel verzweifelt gegen die Schlagstockattacken wehrten, wenn auch "nur" wegen Sachbeschädigung.

In der Verhandlung waren Bilder zu sehen: von entfesselten, prügelnden Hundertschaften; von Einsatzwagen, die mit hoher Geschwindigkeit auf die eingekesselte Menge losfuhren. Die Demonstranten handelten ihrerseits in Notwehr, auch wenn sie "Sachen" wie ebenjene Einsatzwagen beschädigten. Hätte das Gericht dies festgestellt, dann hätte es zur Wahrheitsfindung beigetragen. Doch dazu fehlte wohl der Mut. MICHAEL BRAUN

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Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

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