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Kommentar Freilassung Peter SteudtnerDruck zeigt Wirkung

Jürgen Gottschlich
Kommentar von Jürgen Gottschlich

Die Freilassung des inhaftierten Menschenrechtlers Peter Steudtner und seines schwedischen Kollegen zeigt: Beim Geld ist Erdogan angreifbar.

Für goldene Throne braucht man Geld: Archivbild aus dem Jahr 2015 Foto: dpa

E ndlich!, so möchte man laut rufen. Endlich mal wieder Bilder der Freude aus Istanbul statt immer nur neue Verzweiflung. Es tut gut, Bilder des Menschenrechtlers Peter Steudtner zu sehen, wie er nach seiner Freilassung Freunde und Bekannte vor dem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis in Silivri umarmt, müde, aber zutiefst erleichtert. Ein erster Lichtblick im alltäglichen Horror, der ansonsten zwischen Erdoğans Türkei und Deutschland herrscht?

Man darf in Steudtners Entlassung aus der U-Haft, denn mehr ist es nicht, aber auch nicht allzu viel hineininterpretieren. Der Prozess mit seinen absurden Vorwürfen geht ja weiter. Niemand ist bislang freigesprochen worden, nur dass Steudtner und sein schwedischer Kollege Ali Gharavi nicht in der Türkei bleiben müssen und sich den Fortgang des Prozesses im November aus sicherer Entfernung anschauen können.

Sie beide, solange sie nicht erneut in die Türkei fahren, sind de facto frei. Alle anderen angeklagten MenschenrechtlerInnen sind, bis auf den Amnesty-Vorsitzenden Taner Kilic, zwar auch aus der U-Haft entlassen worden, müssen aber im November wieder vor Gericht antreten.

Auch wenn die Freilassung von Steudtner ein kleiner positiver Schritt ist, eine Entspannung zwischen Erdoğans Türkei und Deutschland kann es erst geben, wenn sich diese Entwicklung nun auch bei Mesale Tolu, Deniz Yücel und den anderen acht deutschen politischen Gefangenen in der Türkei fortsetzt.

Zehntausend Türken sitzen außerdem seit dem versuchten Putsch vom Juli letzten Jahres oft unter ähnlich zweifelhaften Beschuldigungen in Haft, wie zuvor Peter Steudtner, darunter allein rund 160 JournalistInnen.

Die Bundesregierung darf gegenüber der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf keinen Fall gleich den ersten Hoffnungsschimmer zum Anlass nehmen, wieder zum business as usual zurückzukehren. Die Freilassung von Steudtner zeigt vielmehr: Druck zeigt Wirkung und mehr Druck wird mehr Wirkung erzeugen.

Die Achillesferse des Erdoğan-Regimes ist das Geld. Nach langem Zögern hat Merkel begonnen, diesen Hebel zu nutzen. Je wirkungsvoller es ihr gelingt, Erdoğan von internationalen Geldquellen abzuschneiden, umso größer sind die Chancen auf ein Einlenken in Ankara.

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Jürgen Gottschlich
Auslandskorrespondent Türkei
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13 Kommentare

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  • Für Peter Steudtner ist das ohne Zweifel eine positive Entwicklung, ob das für die anderen AI-Mitarbeiter auch gilt, habe ich so meine Zweifel.

    Und dann kommt natürlich noch hinzu, dass das notorisch um Aufmerksamkeit buhlende Erdogan-Regime genau das bekommen hat, was er erreichen wollte: Sehr viel Aufmerksamkeit. Zum Beispiel durch einen Ex-Kanzler, für dessen Gespräche und Verhandlungsergebnisse natürlich Stillschweigen gilt, so dass wir nicht wissen, welchen Preis Erdogan für seine Geiselnahme bekommen hat.

  • Na, kaum bandelt der Geiselnehmer aus Ankara wieder verstärkt mit dem anderen Autokraten (dem aus Moskau) an, kann die Russland-Connection und die "Gerd-Show" doch noch was bringen für die "deutschen Interessen" (wie von Schröder immer behauptet bei seinen Russlandkontakten).

     

    Echte Männer, ganz unverschwult, basta-erfahren verstehen sich schon untereinander.

     

    Wenn`s der Befreiung unschuldiger dient ...nix für ungut, Herr Altkanzler!

     

    Und jetzt dran bleiben... es schmoren noch einige andere mit deutschen Pass in den Knästen.

  • Warum sind sich eigendlich alle so einig bei diesem Thema ? Ich frage mich wo hier das Entgegenkommen des Türkischen Regimes zu sehen ist ?

    Ist es nicht eher so das ein notorischer Straftäter ( Erdogan) erwischt wurde und die Gestohlenen Ware (Steudtner) nun doch herausgeben muß ? Steudtner ist so gut wie frei und die Restlichen 10 tausende unberechtigt festgehaltenen erscheinen wie eine E-Mail die gaaaaaanz weit nach unten gerutscht ist. Erdogan kann tun und lassen was er will, er wird alle Siuationen für seine eigenen Zwecke nutzen. Die Sreudtner Geschichte wir Erdogan sicherlich so darstellen das SEINE Form von Demokratie gesiegt hat und richtig ist.

  • 8G
    88059 (Profil gelöscht)

    10000 Türken unter fadenscheinigen Argumenten im Knast, aber die taz macht Entspannung von einer handvoll Deutscher abhängig.

     

    Das ist genau die internationale Solidarität, die ich von der taz erwarte...

  • "Die Achillesferse des Erdoğan-Regimes ist das Geld. Nach langem Zögern hat Merkel begonnen, diesen Hebel zu nutzen."

     

    Welchen Hebel ? Sie meinen doch nicht etwa den Hütchenspielertrick mit den Beitragshilfen ?

    (https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5454457&s=k%C3%BCppersbusch/)

    • @jhwh:

      ...uups. Es muss natürlich "Beitrittsbeihilfen" heißen.

       

      Mittlerweile habe ich auch Erdos Motivation verstanden. Rebecca Harms hatte gedroht, sich einzuschalten.

  • Zunächst ist da nichts als Erleichterung und Dankbarkeit wegen der Entlassung von Peter Steudtner aus dem Gefängnis. Die politischen Implikationen des Ganzen sind auch sehr wichtig, stehen aber auf einem anderen Blatt.

  • Gibt es tatsächlich Menschen mit dem Irrglauben, dass Merkel irgend etwas mit der Freilassung von Steudtner zutun hat?

    Liebe Leute, in einigen Zeitungen kann man doch eindeutig lesen, dass Gabriel über Schröder einen Deal ausgehandelt hat, von dem Gabriel Merkel in Kenntnis gesetzt hat!

    Also, Merkel wurde informiert, dass im Fall Steudtner etwas passieren wird und es eben besser wäre, wenn sie davon wüsste, falls sie darauf angesprochen werden würde!

     

    Wie schon mehrfach berichtet wurde, hat Erdogan mit Putin über eine Gasleitung zur und durch die Türkei verhandelt.

    Schröder ist nun zum Boss vom russischen Gaskonzern geworden, der diese Pipeline bauen soll.

    Wer jetzt Böses (oder auch Gutes) denkt, kann sich doch wohl gut vorstellen, welches Druckmittel da von Schröder eingesetzt wurde, oder?

     

    Allein die Geschichte mit dem Geld hätte Erdogan wohl kaum zu Umlenken gebracht, weiß er doch, wie stark seine Lobby in der EU ist, denn es ist doch klar geworden, bei der letzten EU Parlamentssitzung von letzter Woche, dass keiner der anderen Länderchefs, außer Kurz, mit Merkel dafür war, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu unterbrechen.

    Auch die Vorbeitrittshilfen sollen nur unwesentlich gekürzt werden.

     

    Also wer glaubt das Märchen, dass Merkel irgend etwas bewirken konnte, um Steudtner frei zu bekommen, wohl die wenigsten.

     

    Aber schön zu wissen, Schröder sitzt jetzt an einer Schaltstelle mit sehr viel Macht, mehr als unsere Bundeskanzlerin!!!

  • Klar, es ist ein Erfolg von Humanismus , moderner Rechtstaatlichkeit und Freizügigkeit !

    Was mir sauer `aufstösst´, ist , das dieser Erfolg gedeutet wird als nur verursacht durch ökonomischen Druck auf die Türkei !

    In der populären politischen Kultur , ob in der EU, in USA und sonstwo.. erscheint die Macht der Ökonomie , des Geldes viel zu sehr als Richtungsgebend für die Praxis der Menschen -und Bürgerrechte..

    .. das führt m.E. zu einer Abwertung , oder eben Sekundarisierung freiheitlicher, sozialrechtlicher Standards - im Namen ökonomischer Machtinteressen ! ..das Prinzip der "all men are born equal" , sowie der Gleichheitsgrundsatz wird Opfer ökonomischer Machtinteressen ! Die angestrebte humane, demokratische Bildungsgesellschaft -der Ideen der säkulären Aufklärung- beugt sich den Mächten des Geldes..

    Das Recht humaner ziviler Ideale wird käuflich..

    Demnächst darf die BRD Deniz und die anderen inhaftierten evtl. "freikaufen" ?

  • Wenn die Türken über die deutschen Nazis schreiben und wir über das " Erdoğan-Regimes " dann wird das nichts auf absehbarer Zeit.

  • Da hat der Herr Altkanzler wohl das Portemonnaie aufgemacht?

    • @Egon Olsen:

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  • "Je wirkungsvoller es ihr gelingt, Erdoğan von internationalen Geldquellen abzuschneiden, umso größer sind die Chancen auf ein Einlenken in Ankara."

     

    Das sehe ich auch so. EU-Förderhilfen kürzen und den Flüchtlingspakt kündigen. Wir müssen unsere Grenzen der EU selbst sichern, da wir ansonsten erpressbar bleiben. Das dient sicher niemand ausser Erdoğan.