Kommentar Förderalismus auf dem Prüfstand: Total falscher Zeitpunkt
Es ist ein Systemfehler, wenn Enthaltungen im Bundesrat faktisch als Nein-Stimmen gezählt werden. Die "Blockademacht" einzelner, von einer Koalition regierten Bundesländer ist zu groß.
W olfgang Schäuble wird immer mehr zum Loser. Was er anpackt, geht schief, denn alle misstrauen ihm inzwischen. Das hat er sich mit seiner Ausnahmezustands-Rhetorik selbst zuzuschreiben. Wenn er jetzt den Bundesrat schwächen will, um seine Vorhaben leichter durchzubekommen, wird auch dies scheitern. Es ist mehr als ungeschickt, eine so grundlegende Verfassungsänderung ausgerechnet in der Hitze des Gefechts um die BKA-Reform anzuschieben.
Christian Rath ist Korrespondent für Rechtsfragen bei der taz.
Schäuble schlägt vor, dass im Bundesrat die Enthaltung eines Landes künftig nicht mehr wie eine Nein-Stimme wirkt. Dazu müsste das Grundgesetz geändert werden. Offensichtlich reagiert der Innenminister damit auf die Schwierigkeiten, im Bundesrat eine Mehrheit für das BKA-Gesetz zu bekommen, das im Bundestag bereits beschlossen wurde. Natürlich werden nun die Kritiker des BKA-Gesetzes aus taktischen Gründen die vorgeschlagene Grundgesetzänderung ablehnen. Und für eine Grundgesetzänderung ist eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erforderlich.
Im Prinzip geht Schäubles Vorschlag aber in die richtige Richtung. Wenn Enthaltungen faktisch wie Nein-Stimmen wirken, ist das ein Fehler im System. Und der gibt dem Bundesrat eine unnötig große Blockademacht. Leidtragend ist die jeweilige Mehrheit im Bundestag. Auch Rot-Grün litt unter diesem Phänomen. Warum aber soll die Bundespolitik blockiert sein, nur weil sich einige Koalitionen in den Ländern nicht einigen können? Die Rechte der Länder sind ausreichend gewahrt, wenn die echten Nein-Stimmen als Nein-Stimmen zählen.
Man mag es in Zeiten der großen Koalition sympathisch finden, dass Kleinparteien wie die FDP und die Grünen über den Bundesrat nun doch blockieren und deshalb auch ein bisschen mitbestimmen können. Doch der Föderalismus ist nicht dazu da, aus jeder Konstellation am Ende eine faktische Allparteienregierung zu machen.
Schäuble sollte seinen Vorschlag deshalb sofort zurückziehen und ihn erneut einbringen, wenn sich der Rauch um das BKA-Gesetz gelegt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe