Kommentar Flugzeugabschuss: Macht vor Recht
Mit seiner Forderung, von Terroristen gekaperte Zivilflugzeuge abzuschießen, setzt sich Verteidigungsminister Jung über die Bürgerrechte hinweg.
A m Dienstag gab sich Verteidigungsminister Jung als verantwortungsbewusster Politiker. Natürlich werde er zurücktreten, nachdem er unter Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand den Befehl gegeben habe, ein Zivilflugzeug abzuschießen, das, von Terroristen gekapert und als Terrorinstrument gegen die Bevölkerung eingesetzt werden sollte. Anständig. Allerdings wenig tröstlich für die zivilen Passagiere im abgeschossenen Flugzeug. Und wenig nützlich für die Piloten, die den Abschuss tätigten. Sie, die letzten in der Befehlskette, sind genauso des Totschlags schuldig wie der Minister. Außerdem sind sie schadensersatzpflichtig.
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat eine Vereinigung von Soldaten zur Befehlsverweigerung aufgerufen, wenn angesichts der bestehenden Rechtslage ein Abschussbefehl gegen ein Passagierflugzeug gegeben werden sollte. Das war die einzig mögliche Reaktion zum Schutz der Piloten. Denn nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss für verfassungswidrig erklärte, ist die Berufung auf einen übergesetzlichen Notstand ausgeschlossen. Das Urteil untersagt in diesem Fall die Abwägung von Schutzgütern, Voraussetzung für eine erweiterte Auslegung des rechtfertigenden zum übergesetzlichen Notstand. Leben können nicht gegen Leben aufgerechnet werden. Wie es im Urteil heißt: "Indem über ihr Leben von Staats wegen verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt."
Eigentlich denkt Jung wie Innenminister Schäuble, der Abschuss eines gekaperten Flugzeugs sei eine "Quasi"-Kriegshandlung. Weshalb sie auch glauben, dass eine Änderung des Grundgesetzes, die den Einsatz der Bundeswehr im "Quasi"-Luftkrieg erlaubt, die Tötung der Passagiere rechtfertigen würde. Eine solche Auffassung ist typisch für Politiker, für die das vorgebliche Staatsinteresse Vorrang hat vor den Grundrechten der Bürger. Übergesetzlicher Notstand ist für sie Staatsnotstand. Was nach den Worten des großen Juristen Jellinek nur ein anderer Ausdruck dafür ist, "dass Macht vor Recht geht".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren