Kommentar Flughafen Kassel: Irrflug in der Provinz
Der Flughafen Kassel ist ein teures Beispiel dafür, wie sinnlos föderale Alleingänge sein können. Er bleibt vorerst ein schwarzes Loch.
K urhessen ist längst kein infrastrukturell abgekoppeltes Zonenrandgebiet mehr, sondern in Deutschlands dünn besiedelter Mitte angekommen. Kassel-Wilhelmshöhe ist ein wichtiger Knotenpunkt der Bahn. Und künftig kann, wer in Kassel-Calden ins Flugzeug steigt, schneller in Mallorca sein als mit dem Auto auf der A 5 in Frankfurt.
Auch andere „Warmwasserziele“ wie die türkische Riviera oder die Kanaren sind damit deutlich näher an Deutschlands spärlich besiedelte Mitte gerückt. Eine Erfolgsgeschichte, die sich die hessische Landesregierung zuschreibt und mit diesem neuen Regionalflughafen zugleich beschleunigen und krönen möchte. Thomas Schäfer (CDU), Hessens Finanzminister und Aufsichtsrat der Flughafen Kassel GmbH, lobt seinen Airport denn auch als „beeindruckendes Zeugnis für den wirtschaftlichen Aufschwung in Nordhessen“.
Tatsächlich ist der Flughafen nördlich von Kassel, der am Donnerstag eröffnet wird, ein 271 Millionen Euro teures Beispiel dafür, wie sinnlos föderale Alleingänge sein können. Und ein Symptom dafür, wie sehr regionale Strukturpolitik den Wechselfällen des Marktes ausgeliefert ist. Als vor rund 15 Jahren mit den Planungen für Kassel-Calden begonnen wurde, prognostizierten Experten noch eine Überlastung der Großflughäfen und eine Aufwertung sogenannter Regional Hubs.
ist Korrespondent der taz in Wiesbaden.
Diese Großflughäfen sind heute erweitert oder werden neu gebaut, das Geld wird nicht mehr mit Abfertigung oder Luftfracht verdient, sondern mit der Umsatzbeteiligung am Einzelhandel, die für die konsequente Verwandlung von Flughäfen in Einkaufszentren verantwortlich ist.
Die globale Krise im Luftverkehr nötigt Flughafenbetreiber weltweit, Passagiere nicht mehr auf dem schnellsten Wege zum Ziel zu leiten. Sie sollen stattdessen auf möglichst labyrinthischem Wege zum Konsumieren ermuntert werden.
Auch in diesem Sinne ist Kassel-Calden weit am Bedarf vorbeigebaut. Wer in die Ferien fliegt, kauft vorher keine Stange Zigaretten. In frühestens zehn Jahren soll der Flughafen eine schwarze Null schreiben, bis dahin – und wahrscheinlich noch weit darüber hinaus – wird bei Kassel ein schwarzes Loch zu bewundern sein, das aus regionaler Eitelkeit entstanden ist und Jahr für Jahr zehn Millionen Euro an Steuergeldern verschlingt. Unsummen, die an anderer Stelle weniger prestigeträchtig, dafür wesentlich sinnvoller investiert wären.
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