piwik no script img

Kommentar Facebooks BörsengangBewusst netznackig

Johannes Gernert
Kommentar von Johannes Gernert

Die Facebook-Timeline wird für alle Nutzer eingeführt - auch wenn man sie nicht will. Was soll man da machen? Abschalten? Oder einfach selbstbewusst nackig sein.

F acebook nutzt seine Nutzer. Je mehr sie in kurzen "Wie gehts uns denn heute?"-Sätzen oder Urlaubsfotos von sich erzählen, desto besser kann der Konzern passende Werbung schalten. Das bringt Geld. Selten zeigt sich das so deutlich wie jetzt, wo Facebook an die Börse will: Unternehmenswert bis zu 100 Milliarden, die Liga von Siemens oder VW.

Facebook nutzt seinen Nutzern. Ja, auch das. Es macht Spaß, dem Arbeitskollegen beim Hochseefischen zuzusehen. Man bleibt mit fernen Freundinnen in Kontakt. Es gibt kluge Diskussionen, Wulff-News, witzige "Tatort"-Verrisse in zwei Sätzen. Je mehr Spaß das alles macht, desto mehr vertraut man dem Netzwerk auch an. Ohne viel darüber nachzudenken.

Facebook ist das sehr recht. Der Konzern profitiert ja davon, dass sich seine Kunden recht netznackig machen. Das ist das Kerngeschäft, und da endet dann auch die Kundenfreundlichkeit des Börsenaspiranten: Selbst wenn Tausende Mitglieder zeigen, dass sie die neue Facebook-Chronik offenbar nicht wollen - Facebook führt sie trotzdem für alle ein. Die Facebook-Seite wird zur automatisch bebilderten Lebenslinie. Was soll man da machen? Aus Protest abschalten?

Bild: privat
Johannes Gernert

ist Redakteur der sonntaz.

Man kann sich die Chronik erst einmal genauer ansehen. Das "Aktivitätenprotokoll" zeigt, was man vor zweieinhalb Wochen oder vor drei Jahren alles bei Facebook veröffentlicht hat. Die schöne Ironie: Dass Facebook das mit der Lebenslinie nun alles ans Licht zerrt, wirkt aufklärerisch. Es befördert die Erkundung des eigenen Exhibitionismus.

Man muss sich nur die Mühe machen, alles anzusehen: Wer ist dieser Mensch, der vor drei Jahren diesen Quatsch auf meinem Profil veröffentlicht hat, diese Saublödwitze? Ich bin das? Verdammt! Und wer kann das heute sehen? Das lässt sich herausfinden: Mit einem Klick auf "Anzeigen aus der Sicht von". Dann kann man immer noch überlegen: Beitrag löschen, Mitgliedskonto löschen? Oder: sich selbst so sehr schön finden und selbstbewusst netznackig bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Johannes Gernert
sonntaz-Redakteur
Jahrgang 1980, ist Redakteur der taz.am wochenende. Er betreut dort die Titelgeschichten. 2010 ist sein Buch „Generation Porno“ erschienen. 2013 wurde er mit dem Arthur F. Burns-Award ausgezeichnet.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • B
    Burkaschnecke

    Als Alternative brauchen wir eben die digitale Burka, damit man nichts mehr erkennt.

  • F
    Felix

    Es kommt darauf an, wie man Facebook nutzt. Alle Informationen, die in Facebook stehen, können wenigstens von Freunden gelesen werden. Öffentliche Artikel von allen. Die ersten, die meine Facebookfreunde werden wollten, waren mein Vorgesetzter und ein Mitarbeiter der Personalabteilung. Was tun? Ich betrachte mich auf Facebook einfach als "Person des öffentlichen Lebens" - Ich schreibe nichts auf Facebook, das ich nicht auch öffentlich als Gast einer Fernsehsendung einem Millionenpublikum sagen würde. Das Profil unter Echtnamen betrachte ich also als rein beruflich.

     

    Mit meinen echten Freunden bin ich nicht auf Facebook unterwegs. Wir haben mit einer Opensource Communitysoftware und einer Opensource Groupware unter einer eigene Domain eine Community eingerichtet. Damit können wir unsere gemeinsamen Aktivitäten organisieren. Da kommt nur rein, wen wir persönlich kennen und alle darüber abgestimmt haben!

  • P
    Peter

    Ahso, jeder kann sich also völlig frei dafür entscheiden, bei Facebook mitzumachen?

     

    Mal sehen:

     

    - meine Uni präsentiert alle Neuigkeiten auf Facebook

    - jeder privater Radiosender bietet weitere Informationen, Umfragen ect. auf seiner Facebook-Seite

    - Spendenkonto eines Vereins - siehe Facebook

    - Infos über meinen Lieblingspolitiker - auf Facebook

    - Klassentreffen werden organisiert auf - Facebook

    - öffentliche Diskussionen zentral auf - Facebook

     

    Ich könnte die Liste endlos Fortsetzen.

     

    Durch die Mitgliedschaft von mehr als einem 8el der Menscheit (allein mehr als ein Viertel der Deutschen) ist Facebook mehr als nur ein freiwilliger Spaß - Teile des öffentlichen Lebens werden zunehmen auf Facebook verlegt.

     

    Mit welchem Recht werde ich als Nicht-Nutzer davon ausgeschlossen?

     

    Wie kann es sein, dass eine Firma, für welche mehr als ein Viertel aller Deutschen einen guten Teil ihrer Lebenszeit investieren, welche für mehr als ein Viertel aller Deutschen ein wichtiger Lebensbestandteil sind - wie kann es sein dass eine solche Firma völlig ohne jegliche staatliche Überwachung schalten und walten kann?

     

    Die Macht von Facebook über das öffentliche Leben wächst stetig - Verantwortung muss Herr Zuckerberg dafür nicht im geringsten übernehmen. Kein einziges Gesetz betrifft seine Firma. Allein der Datenschutz betrifft Facebook - und ist Zuckerberg ******egal.

     

    DAS stört mich an Facebook. Was interessiert, wer wie Kontakt zu seinen Freunden hält oder wer wie wann wo wieviel seines Privatlebens veröffentlicht?

     

    Noch haben Demonstranten weltweit Facebook auf ihrer Seite - wartet ab, wenn die Geheimdienste aufholen und Facebooks Datenberge für sich zu nutzen beginnen!

  • W
    Wasert

    Nur mal so zu der Rhetorik à la: Jeder selbst schuld, der sich da nackicht macht.

    Anlagebetrüger landen auch im Knast, obwohl deren Opfer im selben Sinne "schuld" an ihrer Misere sind. Man sieht also, die Unmündigkeit der Gelackmeierten entbindet den Täter lange nicht von seiner eigenen Schuld.

     

    Facebook sammelt Daten. Und es investiert wahnsinnig viel Geld und Expertise, um seine Funktionalitäten mehr und mehr danach auszurichten, noch lückenloser Personendaten zu sammeln. Wie naiv ist es denn bitte zu glauben, diese würden einzig und allein der individualisierten Werbung dienen?

  • N
    Nico

    @PeterPan

     

    Haben sie auch schon ein soziales Netzwerk gehen sehen, das ca. 850.000.000 Benutzer hat? Ich denke nicht ;)

     

    @Andrea

     

    Dann hat besagte Bekannte etwas falsch gemacht.

     

    @Öko Fritz

     

    Facebook schließt also ein "normales" soziales Verhalten im realen Leben aus?

    (Rhetorisch Frage. Antwort ist "nein")

  • N
    Nico

    ZUSAMMENFASSUNG

     

    Facebook ist ein kostenloser Dienst, der viele Möglichkeiten und Vorteile mit sich bringt. Genau wie auch Nachteile. Diese Vorteile kosten Geld, Geld das facebook mit gezielter Werbung macht und dafür auf Informationen zurückgreift, die der User wissentlich veröffentlicht.

     

    Jeder kann bewusst entscheiden, was er veröffentlicht und was nicht.

     

    Jeder kann einstellen, wer die eigenen Posts auf facebook sehen darf.

     

    Niemand wird gezwungen, sich bei facebook anzumelden.

     

    -> Wo ist also das Problem?

    -> Wenn facebook das Design verändern will, dann bitte. Es ist ja nicht so, als ob fb auf einmal private Daten veröffentlichen will; so tun hier viele.

  • A
    anke

    "Mein Gott, jetzt hat sie's!", möchte ich mit Alan J. Lerner bzw. Professor Higgins aus My Fair Lady ausrufen angesichts des Schlusssatzes von Johannes Gernert. Endlich nämlich scheint die taz gerafft zu haben, dass die Unwort-des-Jahres-Jury nicht geirrt hat, als sie Angela Merkels "alternativlos" die Ehre der Wahl antat.

     

    Nichts in dieser Welt ist wirklich ohne Alternative - ausgenommen vielleicht der Tod. Sich selbst auch rückblickend noch ganz in Ordnung zu finden, ist jedenfalls gar nicht so schwer. Vorausgesetzt, man schert sich nicht um die Drohungen selbst berufener Apologeten menschlichen Permanent-Versagens. Scham ist keine biologische Kategorie. Sie ist ein rein gesellschaftliches Konstrukt. Man muss sie sich schon einreden lassen, um sie zu empfinden.

     

    Im allgemeinen ist der Mensch sehr stolz auf seine Fähigkeit zur Weiterentwicklung. Wenn er aber davon ausgehen will, dass er morgen klüger ist als er gestern war, muss er zwangsläufig einverstanden sein mit dem Umkehrschluss: 'Gestern war ich dümmer als ich heute bin.' Dass es erst des Internets bedurft hat, um diesen Allgemeinplatz mal wieder zur Sprache zu bringen, ist traurig. Erklärlich wird der Umstand nur, wenn man weiß, wie sehr das Denken heutzutage in Verruf gekommen ist.

     

    Meine Dummheiten von gestern schaden niemandem. Leider gibt es Leute, die sie zu nutzen versuchen. Das sind Leute, die immer und überall zu spät kommen und es schon deswegen nie mit der Zukunft versuchen, sondern immer nur mit dem was war. Mal im Ernst: Wer will mit solchen Leuten schon seine Zeit verbringen? Ich nicht. Mir ist es lieber, wenn sich nur Leute für mich entscheiden, die frühere Fehler als Chance betrachten, nicht als Risiko. Solche Leute aber brauchen facebook nicht. Die machen eigene Erfahrungen. In der realen Welt.

  • J
    javra

    Was Renegade sagt. Anstatt sich auf ACTA und andere wirklich wichtige Themen zu konzentrieren, diskutieren die Medien hierzulande, ob über die Neugestaltung von Facebook-Profilen, bei der die von mir öffentlich gemachten Informationen lediglich anders dargestellt werden als frühe

  • P
    PeterPan

    Ich hab' in meinem Leben schon so viele soziale Netzwerke kommen und gehen sehen, da ist facebook letztlich auch nur eines unter vielen. Ich habe meinen Account bereits vor einem halben Jahr gelöscht, es geht mir hervorragend und ich kann nur jedem empfehlen, dies auch zu tun. Das Leben ist einfach großartig!

  • SS
    selbst schuld

    das kommt davon, wenn man alles für umme haben will!

  • A
    alcibiades

    Sehr schön gesagt: facebook ist was für Narzissen und Exhibitionisten. Das war es auch schon. Wenn Zuckerberg meint, damit eine repräsentative Nutzergruppe zu haben, na gut. Ein weiterer Irrtum der Werewirtschaft. Genauso wichtig, wie "was du letzten Sommer gemacht hast".

  • A
    Andrea

    Mitgliedskonto löschen? Das bringt da doch am Ende gar nichts.

     

    Eine Bekannte hat mir neulich erzählt, dass sie vor einiger Zeit auf ihr Facebook-Profil angesprochen worden ist. Sie konnte nur noch entsetzt sagen, "Moment! Mein Facebook-Profil?! Das habe ich doch schon vor Monaten gelöscht! Wieso ist das immer noch im Netz frei verfügbar?!"

  • MS
    Michael Springer

    Das Internet braucht einfach ein paar begnadete Visionäre und Programmierer, die die Macht der "kalifornischen Log-Ins" brechen!

     

    Die Webtechnologien sind längst da - die Smartphones machen es möglich!

     

    Ein anderes Paradigma muß entworfen werden - der User als "Bürger und Reisender im globalen Dorf".

     

    Das persönliche Social-Net-Work gehört ins Mail-Programm und verbindet Smartphone und Desktop.

     

    2015 sind Facebook und Google+ noch da, aber höchstens als "nice-to-have".

     

    ... Zugangs-Provider und Carrier werden die Macht bei den Log-Ins übernehmen!

     

    timbuktou@freenet.de

  • G
    gemästet

    Selbstbewußt nackig?

    Launig formuliert. Gerade so, als hüpfe man nach der Party mal eben nächtens in das Becken vom abgeriegelten Freibad.

    Selbstbewußt gemästet, trifft es eher.

     

    "Wenn Du nicht dafür bezahlst, bist Du nicht der Kunde, sondern die Ware."

     

    Viel selbstbewußten Spaß also, in der digitalen Mastbox, mit der passgenauen Werbung und dem passgenauen Fenster auf die Welt.

  • ND
    Nur die allerdümsten Kälber

    Wie wäre es für den Anfang mal mit der konsequenten Umsetzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen? Einfach mal geltendes Recht auf die Netzmafia anwenden?

    Nein?

    Lieber richten sich Minister, Ministerien, Bundesbehörden und Parteien Profile ein?

    Na, dann ist ja gut.

  • KF
    Öko Fritz

    Stasi 3.0 ...

     

    Wer braucht schon Facebook?

    Was sind die wahren Vorteile?

     

    Isoliert hinterm heimischen Rechner sitzen, mit der Welt per Du sein und den Nachbar nebenan nicht mal kennen!

     

    Eine Traumwelt... bis die Seifenblase platzt!

     

    Also: Ich habe kein Facebook... und lebe glücklich!

  • NU
    netznackter User

    und wie kann man das Aktivitätenprotokoll einsehen?

  • N
    n.n.

    Keiner braucht den scheiss wirklich.

    den ganzen exhibitionistenkram kannst du auch anders haben.

    lasst uns facebook ruinieren!

    im namen unserer nachkommen.

    account löschen, sofort.

  • R
    Renegade

    Also wenn mich nicht alles täuscht, konnte man sich schon immer "durchklicken" bis zum Anfang aller Tage. Nun wird es eben einfacher - aber man kann seine Timeline ja auch nachträglich bearbeiten. Der ganze Aufruhr ist mir unverständlich.