Kommentar Ermittlungen gegen CIA: Republikanische Verantwortung
Das Problem Obamas ist, dass er nicht mit Normalmaß gemessen wird. Weigert er sich weiter, gegen die Verbrechen der CIA vorzugehen, so setzt er seinen Vertrauenskredit aufs Spiel.
Barack Obamas Weigerung, die Aktivitäten der CIA unter Bush strafrechtlich untersuchen zu lassen, hat den amerikanischen Präsidenten schon jetzt in die Bredouille gebracht. Sein Argument für die Nichtverfolgung hatte ursprünglich einen pragmatischen und einen grundsätzlichen Aspekt gehabt. Auf der Ebene der praktischen Politik stellte er die Funktionsfähigkeit der Geheimdienste in den Mittelpunkt. Die Dienste würden gebraucht und dürften moralisch nicht geknickt werden. Rigorose Aufklärung würde zudem die gegenüber dem "Change" offenen Republikaner in die Opposition treiben. Grundsätzlich, argumentierte Obama, müsse man den Blick nach vorne richten und die drängenden Probleme der Gegenwart anpacken. In der Vergangenheit zu wühlen ziehe dringend benötigte politische Energien ab. Beide Argumente haben sich als wirkungslos erwiesen.
Natürlich ist der Gedanke des dicken Schlussstrichs verlockend. Dies umso mehr, als eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung der Überwachungsmethoden, der illegalen Gefangennahme, der Folterung und jetzt auch des Projekts geheimer Mordaufträge vor den Hauptverantwortlichen der Bush-Regierung nur schwerlich haltmachen könnte. Aber die Amnestie von CIA-Leuten und damit die Amnesie gegenüber allen Schandtaten der Bush-Regierung im "Krieg gegen Terror" würde das Vertrauen vieler amerikanischer Bürger in die Institutionen, die für ihren Schutz sorgen sollen, nachhaltig schwächen. Gerade eine Politik wie die Obamas, der die Menschen dazu auffordert, im Geist des Republikanismus mehr Verantwortung zu übernehmen, bedarf einer Regierung, die sich selbst strikt republikanisch gegenüber Recht und Gesetz verantwortlich zeigt.
Gewiss, die Geschichte belehrt uns, dass Amnesie gegenüber eigenen politischen Verbrechen der Normalfall war und die jeweiligen Machteliten damit in der Regel gut über die Runden gekommen sind. Das Problem Obamas ist aber, dass er nicht mit der Elle des Normalmaßes gemessen wird. Weigert er sich weiterhin, gegen die Verbrechen der Sicherheitsdienste und der für sie Verantwortlichen vorzugehen, so setzt er den immensen ihm gewährten Vertrauenskredit aufs Spiel. Dieser Kredit besteht in der Hoffnung, Obama möge mehr sein als ein Pragmatiker, der die Wiederherstellung verletzten Rechts dem politischen Kalkül unterwirft.
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