Kommentar Erhöhung Hartz-IV-Regelsätze: Die Meisterin der Öffentlichkeit
Arbeitsministerin von der Leyen schafft es, mit ihrer Hinhaltetaktik Kritik an den Regelsatzerhöhungen abzuwehren. Damit schindet sie Zeit anstatt nötige Transparenz zu schaffen.
D ie Bundesarbeitsministerin versteht das Spiel mit der Öffentlichkeit: Als alle längst die neuen Berechnungsgrundlagen für Hartz IV erwarteten, zauberte Ursula von der Leyen mit großem Brimborium die Bildungschipkarte aus dem Hut. Zwar haben Fachleute hinlänglich auf deren zahlreiche Schwachstellen hingewiesen, doch die PR-Aktion erfüllte ihren Zweck: Die Öffentlichkeit heißt die Karte gut - von der Leyen hatte ihr erstes Ablenkungsmanöver in Sachen Regelsatzerhöhung gewonnen.
Jetzt folgt ihr zweiter Streich. Die Ministerin legt ihren Gesetzentwurf zur Regelsatzberechnung vor - ohne konkrete Zahlen. Die will sie selber noch nicht kennen und also erst am nächsten Montag präsentieren. Bereits drei Wochen darauf soll das Kabinett die neuen Hartz-Sätze absegnen. Diese Zerstückelungs- und Hinhaltetaktik soll der Ministerin helfen, Kritik so lange wie möglich aus dem Weg zu gehen. Sie tut das zulasten jener Transparenz, die das Verfassungsgericht in Sachen Hartz IV angemahnt hatte.
Damit entzieht von der Leyen unabhängigen Experten die Möglichkeit, ihre Zahlen gegenzurechnen. Vielleicht kann sie damit auch eine Konfrontation mit dem kritischen Teil der Öffentlichkeit hinauszögern. Doch früher oder später wird herauskommen, ob die Regierung den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ernst genommen hat, die Regelsätze transparent und wissenschaftlich haltbar zu berechnen.
Sollte das nicht so sein, und darauf deutet einiges hin, dann ist die nächste Klage vor dem Bundesverfassungsgericht absehbar. Doch die Ministerin hätte ihre politische Strategie, Zeit zu schinden, um Klientelpolitik zu betreiben, erfolgreich auf die Spitze getrieben. Mit den Folgen wird sich dann die nächste Regierung beschäftigen dürfen.
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