Kommentar Energiekonsens: Das Zeitspiel der Kanzlerin
Die Kanzlerin wartet ab. Worauf nur? Der Zeitdruck ist enorm. Vier Wochen hat sie gebraucht, nur um die SPD-Ministerpräsidenten zu fragen, was die eigentlich wollen.
A ngela Merkel redet viel von dem neuen Energiekonsens. Das soll ein ganz großer Hut werden, unter den Grüne und Konzerne, die Länder mit ihren Sonderwünschen, die SPD, die Kirchen und ganz viele Wähler passen. Die Idee ist richtig. Energiepolitik braucht Planungssicherheit. Und die gibt es nur, wenn man sich über die Grundlagen solide einigt.
Einigkeit war mit dem rot-grünen Atomkonsens schon mal da. Doch die schwarz-gelbe Regierung hat diese Grundlage mit der AKW-Laufzeitverlängerung ruiniert. Diesen Fehler muss sie nun korrigieren.
Merkel spürt den Druck der Bevölkerung. Umso ärgerlicher ist, wie wenig sie für den neuen Konsens tut. Erst vier Wochen nach dem Moratorium hält sie es für nötig, mal nachzufragen, was die SPD-Ministerpräsidenten so wollen. Mit den konkreten Akteuren, die mit ins Boot müssen, möchte sie lieber nicht zu viel zu tun haben.
Stattdessen hat die Kanzlerin erst einmal einen Ethikrat eingesetzt und eine Kommission, die die Sicherheit der Atomkraftwerke prüfen soll. Als wäre das nicht alles schon bekannt. Merkel gibt die Leitung ab, sie führt nicht.
STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.
Die Union ist, nach ihrem Reißschwenk in der Atompolitik, mit sich selbst beschäftigt. Röttgen will schnell viel Umbau. Und der Pro-Atom-Flügel ist seit Fukushima geschwächt. Aber es reicht noch dazu, auf die Bremse zu treten und Angstzahlen unter die Leute zu streuen, wie teurer der Ausstieg wird. Die Unionsspitze starrt auf die innere Machtbalance - deshalb wirkt sie so verdruckst, wo sie mit den Gegnern kooperieren soll.
Dabei ist der Zeitdruck enorm. Anfang Juni muss ein Gesetz stehen, das Merkels Atomkurs absichert. Es muss juristisch wasserdicht sein. Die Drohung, dass der Staat Schadenersatz wegen des Moratoriums an Konzerne wie RWE zahlen muss, ist noch aktuell.
Was ansteht, ist eine Energiewende in fast forward. Merkel aber hat bis jetzt nur viele Signale nach innen gesendet. All das kostet sie Zeit, die sie eigentlich nicht hat.
Schwarz-Gelb drückt sich nach wie vor um einen konkreten Ausstiegstermin für die AKWs. Darum schwirren Zahlen umher, eine, drei oder fünf Milliarden, die der Umbau pro Jahr kosten wird. Dabei sind diese Zahlen Luftbuchungen, solange das Tempo des Ausstiegs offen ist. Die CSU überschlägt sich unterdessen in Ausstiegsrhetorik. Merkel wartet ab. Worauf?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos