Kommentar Emmely: Emmely bekam Recht
Künftig müssen langjährige Mitarbeit und ein Bagatelldelikt gegeneinander abgewogen werden. Damit verschafft das Gericht Arbeitnehmern mehr Spielraum.
Die Kündigung einer Kassiererin wegen zweier unterschlagener Pfandbons wurde vom höchsten Arbeitsgericht für ungültig erklärt. Das Gericht kam nicht zu dem Schluss, dass "Emmely" alias Barbara E. die Pfandbons nicht genommen hat. Vielmehr argumentierten die Richter, das "Vertrauenskapital" in die Mitarbeiterin könne nach 31 Jahren Betriebszugehörigkeit durch ein so kleines, einmaliges Delikt nicht vollkommen zerstört worden sein. Eine Abmahnung wäre angemessen gewesen. Damit hat das Gericht Maßstäbe gesetzt.
Der Fall "Emmely" spielte von Anfang an auf zwei Ebenen des Gerechtigkeitsempfindens; diese versuchte das Gericht zu integrieren. Da war die Kassiererin, die vergessene Pfandbons für Leergut gegen die Bestimmungen einlöst und sich nach der fristlosen Kündigung in Widersprüche verstrickt. So etwas hört sich nicht gut an. Dann war da aber auch die 52-Jährige, die 31 Jahre im Supermarkt an der Kasse saß und wegen Bons im Wert von nur 1,30 Euro zur Hartz-IV-Empfängerin wurde. Eine Frau, die sich gewerkschaftlich engagierte und die zu der Gruppe der älteren, schwer kündbaren Beschäftigten gehört.
Barbara Dribbusch ist Redakteure für Sozialpolitik bei der taz.
Nach dem Urteil des Gerichts müssen eine langjährige Mitarbeit und ein Bagatelldelikt nun künftig gegeneinander abgewogen werden. Außerdem ist zunächst einmal eine Abmahnung fällig, bevor eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden kann. Das Gericht verschafft Arbeitnehmern damit Spielraum.
Das ist eine Chance. Denn in vielen Betrieben gibt es Arbeitgeber, die nur auf Fehler oder marginale Verstöße lauern, um jemanden loszuwerden. In Zeiten, in denen gerade im Einzelhandel viele Arbeitgeber unbezahlte Überstunden verlangen und die Beschäftigten mit anderen "Bagatellen" belasten, rückt dieses Urteil die Proportionen wieder zurecht. Danke.
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