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Kommentar Einwanderungsgesetz CDUAngela, abgekanzlert

Anja Maier
Kommentar von Anja Maier

Der CSU-Vorsitzende Seehofer führt Angela Merkel öffentlich vor. Und sie läuft Gefahr, die Kontrolle über das Flüchtlingsthema zu verlieren.

Und der Nebenkanzler, aufgemuskelt. Foto: dpa

E s ist gerade ganz schön was los bei der Union. CDU-Kanzlerin Angela Merkel lässt sich vom CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer offenbar die Agenda diktieren. Sie setzt nach einer kurzen Zeit deutscher Freizügigkeit das Schengen-Abkommen außer Kraft. Sie trifft sich kurzfristig mit den Ministerpräsidenten der Länder. Und Horst Seehofer? Genießt seinen Triumph und verabredet sich mit Ungarns Regierungschef Viktor Orban, einem der schlimmsten Hetzer in der europäischen Flüchtlingsfrage.

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende muskelt sich aktuell zu einer Art Nebenkanzler auf. Er drückt in Berlin seine Agenda durch: mehr Geld, weniger Flüchtlinge. In Interviews prangert er Merkels und de Maizières Krisenmanagement an, als säße seine Partei nicht mit der CDU in der Regierung. In Interviews spricht er von „Abwehr“ und „Missbrauch“ und verkündet, für „die Bevölkerung“ zu sprechen.

Kurzum, er nutzt gekonnt alle populistischen Möglichkeiten, die ihm das fahrige Krisenmanagement der Kanzlerin bietet. Und ganz nebenbei poliert er das dank miserabler Berliner Regierungsperformance angekratzte Image seiner CSU auf.

Seehofers Dreistigkeit

Horst Seehofers Dreistigkeit zeigt vor allem eines: Das Flüchtlingsthema, die Frage, wie Deutschland mit Schutz suchenden Menschen umgeht, birgt jede Menge innenpolitischen Sprengstoff. Und zwar weit über diesen Spätsommer hinaus. Angela Merkel, die er öffentlich vorführt, läuft gerade Gefahr, die Kontrolle über diese wichtige gesellschaftliche Debatte zu verlieren. Nicht wenige CDUler finden nämlich richtig, was der Mann aus München sagt. Auch sie meinen, dass es langsam mal genug ist mit der teuren Nettigkeit.

Und was tut Merkel dagegen? Sie lässt ihren Parteivorstand beschließen, dass die Christlich-Demokratische Union Deutschlands sich ernsthaft für ein Einwanderungsgesetz einsetzen wird. Na immerhin.

Was, muss man sich fragen, was bedeutet all dies für die Betroffenen? Für die Flüchtlinge und deren Helfer? Mal schauen. Artikel 21 unseres Grundgesetzes legt fest, dass Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Eben dieses Volk aber ist gerade konkret damit befasst, das jahrzehntelange Versagen eben jener Parteien in der Flüchtlingspolitik auszuwetzen. Das Volk, es reicht Wasser und hilft Menschen, denen eine sauteure deutsche Verwaltung nicht helfen will.

Von dieser Hilfe wird es sich von den Machtkämpfen in der Union nicht abbringen lassen – hoffentlich.

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Anja Maier
Korrespondentin Parlamentsbüro
1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.
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4 Kommentare

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  • Wer unsere Geschichte sehr gut kennt sollte vielmals abwegen und prüfen, was ein Politiker aus Bayern vorschlägt. Denn gerade nur Politiker aus Bayern haben gegen die Einführung des Grundgesetzes in unserem Land gestimmt. Alle anderen Politiker also Bundesländer waren dafür. Und Grundgesetz ist das was Deutschland in der Welt einzigartig macht. Denn diese "Verfassung" hat die am stärksten ausgeprägten Menschenrechte (Grundrechte) als jede andere Verfassung. Zudem bekam unser Land mit der Einführung des Grundgesetzes die Unabhängigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

  • Von Christlich oder Sozial kann ich bei den beiden "Unionisten" nicht viel entdecken. Sie scheinen von Europa und dieser Union auch nicht viel zu halten?

    Bayern will gegen den Finanzausgleich in Deutschland klagen und keine Stromtrassen über sein wertvolles Land dulden. Aber den Strom brauchen sie?

    Die blau weise Fahne und Mentalität hat Griechenland von den Bayern.

    Aber Griechenland hat die Demokratie und die Ehe erfunden (Perikles 451 v.Chr.)

    Im Streit um die Flüchtlinge (Asyl) stelle ich mir gerade vor, es wäre Herrn Schäuble der GREXIT gelungen und Die Flüchtlinge könnten durch "Inselspringen" schneller nach Europa durchgereicht werden? Ein Engagement der Griechen für die "Europäische Werte Union" kann dann nicht mehr erwartet werden?

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Sie unterschätzen die Arbeitsteilung CDU/CSU. Beide haben sich sehr nötig. Merkel sieht nicht minder wie Seehofer, dass die kommenden Wahlen inhaltlich nicht links-mittig, sondern rechts der CDU/CSU gewonnen oder verloren werden. Seehofer macht genau das, was sich die CDU von ihm erwartet und selbst in dieser Ausfälligkeit so nicht leisten kann. Politik ist nicht deswegen ein Kasperltheater, weil sie sich in tarierten Rollen abspielt. Sondern darum, weil im Hintergrund der Bühne sich so viel Altlasten und Restmüll ansammeln, dass es schließlich zum Himmel stinkt und auch noch in der letzten Reihe der Mummenschanz auffliegt.

     

    Das werden wir dann erleben, wenn die Flüchtlingskrise sich zieht, während gleichzeitig die Verteilungskonflikte durch die Medien fokusiert werden (DIE ZEIT startete schon mal einen Testballon, FAZ hält sich noch zurück) und die Wahlen näherrücken. Und darauf zielt eben das Treiben Seehofers bzw. von CDU/CSU überhaupt. Die sehen sehr genau das Potential der AfD und verlegen daher ihre Grenze rechtsaußen, während Merkel genau dort steht, wo sie schon immer stand. Nirgendwo und überall, was wir heute die Mitte, den Dunstkreis des common sense, nennen. Man muss leider immer wieder erinnern: Krisen vertagen (oder sich Zeit kaufen, wie Streeck das so schön nennt) ist zwar eine Krisenstrategie, aber keine Krisenpolitik im (Sinne von Problemlösungsversuchen).

  • 2G
    2097 (Profil gelöscht)

    Seehofer macht doch nur das, was Angela nicht machen kann und die SPD auch nicht, weil sie angebliche Vertreter der Mitte sind. Nur Seehofer bleibt für die rechte Kante gegen die Flüchtlinge. Damit soll nur die Wählerabwanderung zu AfD und Konsorten verhindert werden. Außerdem müssen der Großteil der Bevölkerung und die Eliten beruhigt werden. Nicht dass doch noch ein New Deal hinsichtlich Armutsbekämpfung und Integration notwendig wird mit einem Spitzensteuersatz von 79% und Erbschaftssteuersatz von 77% wie unter Roosevelt. Quelle: http://www.taz.de/!5109265/

    Schäuble wurde ja bereits von den Vermögenden in diesem Land als Kommunist bezeichnet, weil er vorhatte Erbschaften über 20 Millionen ein klein wenig angemessener zu besteuern.