Kommentar Einsatz von Brechmitteln: "Härte und Schärfe" ohne Gesetz
Igor V. hat in einem ohnehin unmenschlichen Setting haarsträubende Fehler gemacht. Das Urteil gegen ihn legt deshalb nahe, dass noch mehr Verantwortliche angeklagt werden müssen.
Auch in Anwesenheit der Polizei muss ein Arzt verantwortungsvoll handeln. Der Bundesgerichtshof hat deshalb zu Recht den Freispruch für den Bremer Arzt Igor V. aufgehoben.
V. hatte 2004 im Auftrag der Polizei einen Brechmitteleinsatz gegen einen mutmaßlichen Dealer durchgeführt, an dem der Afrikaner letztlich qualvoll starb.
Bei der jetzigen Entscheidung ging es nicht mehr um die Methode an sich. Brechmitteleinsätze gegen vermeintliche Drogenhändler hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg bereits 2006 gestoppt. Er wertete sie unter anderem als "unmenschliche und erniedrigende Behandlung". Die Maßnahme war vor allem in Bremen und Hamburg praktiziert worden. Sie wirkte schon immer wie eine gezielte Machtdemonstration fürs rechte Publikum. Es ging dabei weniger um die Feststellung von Beweismitteln - da konnte man ja auch warten, bis verschluckte Drogen den Darm auf natürlichem Wege verlassen. Vielmehr hatte die entwürdigende Prozedur ihren Selbstzweck als eine von der Polizei sofort vollstreckbare Körperstrafe. Auch Rassismus dürfte eine Rolle gespielt haben, da die Maßnahme fast nur bei Schwarzafrikanern angewandt wurde.
Der jetzt entschiedene Todesfall war da nur die ultimative tragische Zuspitzung. Arzt Igor V. hat in einem ohnehin unmenschlichen Setting weitere haarsträubende Fehler gemacht. Während die Vorinstanz ihn wegen der überfordernden Rahmenbedingungen freisprach, legt der BGH nun nahe, dass noch mehr Verantwortliche angeklagt werden sollen.
Der damalige Bremer Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) sollte dann aber auch nicht vergessen werden. Er hatte "Härte und Schärfe" per Brechmitteleinsatz auch dann noch gefordert, als in Hamburg schon der erste Mensch bei dieser Methode gestorben war.
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