Kommentar EU-Russland-Gipfel: Partnerschaft überdenken
Es ist an der Zeit, die strategische Partnerschaft mit Russland neu zu ordnen. Der Kreml will sich nicht einbinden lassen, setzt aber auf Realpolitik.
D ie halbjährlichen EU-Russland-Gipfel sind seit langem zum Ritual erstarrt. Die Partner haben sich nicht viel zu sagen. Die "Strategische Partnerschaft" ist nur noch eine Worthülse. Je größer der Aufwand für Reisen zu Gipfelspektakeln, desto bescheidener die Ergebnisse. So weit das Fazit der jüngsten Zusammenkunft in Chabarowsk an Russlands Grenze zu China. Es wurde kein gemeinsames Dokument unterzeichnet. Im Streit über Energiesicherheit blieben beide Seiten stur. Von der europäischen Initiative zur "östlichen Partnerschaft", mit der den Nachbarn Moskaus eine stabile Perspektive geboten werden soll, möchte der strategische Partner nichts wissen.
Es ist an der Zeit, die strategische Partnerschaft zu überdenken und vom ideologischen Überbau zu befreien. Denn längst musste Europa einsehen, dass die Annahme aus den frühen 1990er-Jahren, Russland wolle einen zivilisatorischen Entwicklungspfad einschlagen, der dem europäischen ähnelt, falsch war. Zwar sah die EU eine Aufnahme des riesigen Nachbarn nicht vor, dennoch sollte eine Angleichung von Institutionen, Rechts- und Wertesystem zu möglichst enger Verflechtung führen.
Diese Perspektive hatte jedoch schon Wladimir Putin ad acta gelegt. Der Kreml will sich nicht einbinden lassen. Trotz Globalisierung setzt er weiter auf Autarkie und Realpolitik. Nach dem Motto "Wenn jemand integriert, dann Russland". Eine Sprache, die die EU verlernt hat.
Will Brüssel mit dem Nachbarn zurechtkommen, gilt es, alte Sprachkenntnisse aufzufrischen und Sach- wie Interessenpolitik ohne metaphysischen Ballast zu betreiben. Erfolg wird sich einstellen, denn Russland braucht Europa dringender als umgekehrt. 60 Prozent des Exports gehen in die EU. Und russische Unternehmen würden am attraktivsten Binnenmarkt der Welt gerne mehr teilhaben. Mit diesem Pfand könnte die EU wuchern. Russland tut es mit seinem Gas schließlich auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers